Drohnen

Die neuen Waffen und das Kriegs- und Völkerrecht.

Meine Damen und Herren, Dem beunruhigenden und schwer zu erfassenden Thema >Drohnen< kann man sich unter verschiedenen Aspekten nähern, z.B. unter - dem des Schutzes der eigenen Soldaten im Kriegsfall - dem des vermeintlich unaufhaltsamen Fortschritts der technischen Entwicklung der Waffenpotentiale und der Waffenpräzision - dem der erhofften Verringerung der Zahl der Toten in bewaffneten Konflikten - dem des strategischen und taktischen operativen Vorteils in asymetrischen Kriegen - dem des unvermeidlichen globalen Rüstungswettlaufs der militärisch- industriellen Komplexe - dem der moralischen Beurteilung seiner Begleiterscheinungen, im Zusammenhang beispielsweise mit sogenannten `unvermeidlichen’ Kollateralschäden - dem der Pazifisten, die – der Debatte um die Atom– oder chemischen und biologischen Waffen vergleichbar – eine generelle Ächtung der Drohnen anstreben - dem der Ängste und Deutungen der Verschwörungstheoretiker und Cyber- Krieger - dem der absehbaren und kaum einzugrenzenden globalen Proliferation - oder einfach unter dem des aktuell gescheiterten Beschaffungsprogramms des Euro Hawk des Bundesverteidigungsministeriums - der neuen Akzente in der Rede Präsident Obamas vom 23.Mai 2013 - und schließlich der jüngsten Meldungen, daß auch von der US-Militärbasis in Deutschland, Ramstein, Drohneneinsätze gesteuert werden. All diese Gesichtspunkte spielen eine Rolle in den zunehmenden öffentlichen Debatten und werden auch meine folgenden Erklärungsversuche begleiten. Uns aber interessiert hier vor allem der rechtliche, der völkerrechtliche und der politische Aspekt bei der Einführung jener neuen Waffen, von denen interessierte Akteure bereits offen verkünden, der Zug sei doch längst in dieser Richtung abgefahren und von niemandem mehr zu stoppen. Um diesen aber zu antworten – so meine These – muß man rechtlich, politisch, historisch und manchmal geradezu philosophisch argumentieren . Bitte erlauben Sie mir deswegen, sehr früh anzusetzen, nicht gerade mit Adam und Eva und der Erschaffung des Menschen zu beginnen, aber doch – im übertragenen Sinne – mit Kain und Abel, mit dem ersten mythischen Menschheitskonflikt, als sich ein Bruder gegen den eigenen Bruder erhob, um ihn totzuschlagen. I. Alles beginnt mit dem aufrechten Gang, mit dem der Mensch sich vom Tier unterscheidet, man kann auch sagen: sich über das Tier erhebt. Meistens wird mit der Tatsache, daß der Mensch damit seinen Schwerpunkt und sein Gleichgewicht verlagert, sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit vier Gliedmaßen abstützt, sondern mit zwei Beinen und Füßen vorwärtsstrebt, sich mit dem Rückgrat ausbalanciert und damit die Hände und Arme freibekommt und mittels des aufgerichteten Kopfes seine gesamte Umgebung bis zum Horizont im Radius von 360Grad erfassen kann, ein Quantensprung auch in der mentalen Entwicklung vermutet. Der aufgerichtete Mensch kann seine Hände und Arme für etwas anderes benutzen als zur Fortbewegung. Er kann etwas er–greifen, er kann etwas be–greifen, er kann Instrumente benutzen und entwickeln. Das gilt gemeinhin als der Anfang der Arbeit. Es ist aber auch der Anfang der Idee einer Waffe. Denn eine Waffe ist ein Gegenstand, den ich benutze, um einen räumlichen Abstand zwischen mir und einem anderen Lebewesen – Mensch oder Tier – in meist unfreundlicher und agressiver Absicht zu überwinden. Eine Axt, mit der ich einen Baum fälle, gebe ich nicht aus der Hand - sie ist ein Arbeitsinstrument. Eine Axt, die ich nach einem Menschen oder Tier schleudere, ist eine Waffe. Jedes, auch das agressivste und gefährlichste Tier – sei es Löwe, Tiger, Krokodil, Hai oder Giftschlange – muß sich selbst in die unmittelbare Nähe desjenigen Lebewesens begeben, das es angreifen will. Weil es keine Waffe benutzen kann, muß es sich selbst in unmittelbare Lebensgefahr begeben. Der Mensch nicht, der Mensch kann aus dem Abstand angreifen. Nur der Mensch kann aus Distanz töten. Er kann diesen Akt des Angreifens und Tötens sogar ohne Notwendigkeit vollziehen. Er kann es tun, ohne Hunger zu haben und fressen zu müssen, er kann es tun, wenn er selbst keineswegs angegriffen ist, also außerhalb jeder Notwehr– und Verteidigungssituation. Er kann es, weil er die Fähigkeit dazu hat ( das Werfen und Schleudern), das Mittel ( Axt, Speer, Gewehr, Bombe, Drohne), die intellektuelle Potenz (Agression, Absicht, Plan und Zielauswahl) und er kann es, weil er sein Raum– und Zeitgefühl perfektioniert hat, um sein Vorhaben auch nachhaltig verfolgen zu können und nicht einfach beiläufig im Lauf zu vergessen oder aus den Augen zu verlieren. Die Gründe, aus denen Menschen zur Verstärkung ihrer (dem Tier in der Regel unterlegenen) Körperkräfte und –fähigkeiten zu Waffen greifen, sind Legion. Diese Gründe – und nicht die Waffe an sich – sind immer wieder neu Anlass zu philosophischen und moralischen Überlegungen, sie sind der eigentliche Ursprung von Ethik und Religion. Denn Gewalteindämmung, Gewaltminderung und Gewalteinhegung – und zwar alles aus Gründen der Überlebensfähigkeit der menschlichen Spezies – ist das eigentliche Ziel der Religionen. Dabei liegen all diesen Religionen – ( und somit kommen wir jetzt zur mythischen Erzählung von Kain und Abel) – die nüchterne Einschätzung zugrunde, daß schon die kleinste und vertrauteste menschliche Gemeinschaft nicht frei ist von Haß, Agressionsgefühlen und potentieller Gewalt und damit die Waffenfähigkeit des Menschen – nicht die Waffe an sich! – ein Problem werden kann. Der Philosoph Rene Girard hat als dessen Ursache den alle menschlichen Beziehungen tragisch durchziehenden „mimetischen Konflikt“ gesehen, Sigmund Freud den Ödipuskonflikt und den Todestrieb. Wir leben niemals allein auf der Welt, wo immer aber ein Mensch bei seinem Umgang mit der ihn umgebenden Welt auf andere Menschen trifft, tritt er in einen Wettkampf und eine Konkurrenzsituation ein, teilt er mit diesen anderen, den Fremden, all seine ambivalenten Leidenschaften, seinen Ehrgeiz, seine Lust und seine Agression. Nicht einmal die Familie, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die Geschwisterbeziehung oder die Binnenbeziehung in einem Clan, einer Sippe, einem Stamm ist davon frei. Im Gegenteil, hier, wo die Affinität am größten ist, fängt das Entgleisen der menschlichen Gemeinschaften und damit das Risiko für deren Fortbestand in der Regel an. Es steigert sich, wenn große Unterschiede im sozialen Status hinzukommen, die das Gefühl von Ungerechtigkeit anstacheln. II. Exkurs: Religion und Gewalteindämmung Unter diesem Blickwinkel sind alle alten Vorschriften, Regeln und Gebote früherer Kulturen und Zivilisationen sehr leicht zu entziffern und zu interpretieren. Niemals geht es dabei vorrangig um Ratschläge für gute fromme Menschen, überhaupt geht es nicht um Tugenden von Einzelnen oder um das, was wir heute Moral und Menschenrechte nennen. Es geht um Gefahrenabwehr potentieller Gewaltausbrüche innerhalb größerer menschlicher Gemeinschaften. Es geht fast durchweg um die Abwehr der Gefahr chaotischer und bürgerkriegsähnlicher Exzesse in einem Gemeinwesen. Und damit um die notwendige Unterbrechung von drohenden Gewaltspiralen So liest sich der Dekalog, ( der viele Überschneidungen mit anderen Religionsgesetzen aufweist ), dann fast wie eine Anweisung für asymetrische Konflikte: - Das erste und zweite Gebot („Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“) anerkennt die Machtposition, die eine religiöse Zentralfigur ( Gott, Priesterkönig,, Papst, Prophet, Dalai Lama etc.) in einem Volk einnimmt . Es regelt den Religionsfrieden innerhalb eines Stammesgebiets, ahnt die Rivalität verschiedener Völker mit jeweils eigenen Gottheiten und Ideologien und warnt vor dem möglichen Mißbrauch göttlicher Autorität ( „Du sollst Gottes Namen nicht mißbrauchen!“) - Das dritte Gebot (Sabbatgebot) entzieht den Menschen dem völligen Zugriff der Arbeitswelt und der Sklaverei der diversen Geld- und Arbeitsmärkte, es reklamiert einen Anteil der Lebenszeit des Menschen für das Nachdenken über Gott, die Schöpfung und den Sinn seiner Existenz, und unterbricht damit postulierte Zwangsläufigkeiten im totalen Zugriff auf den Alltag des Menschen. - Das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren“) regelt den Generationenfrieden und mögliche Erbschaftsstreitigkeiten - Das fünfte, siebte, neunte und zehnte Gebot ( Nicht töten! Nicht stehlen! Nicht begehren, was Eigentum eines anderen ist – Haus, Weib, Kind, Knecht, Magd, Vieh, alles in gut patriarchalischer Reihenfolge) – enthält alle Anlässe im sozialen Zusammenleben der Gruppen und Clans, aus denen ewige Rachegefühle, Blutrache und bürgerkriegsähnliche Verwerfungen entstehen können - Das sechste Gebot („Du sollst nicht ehebrechen“!) anerkennt, dass auch Liebe, Lust und Erotik kein Paradieszustand und schon gar kein gewaltferner Raum sind - Ist letzteres schon merkwürdig modern und zeitlos, so gilt das in ganz besonders starkem Maße für das achte Gebot („ Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“). Hiermit wird nicht nur anerkannt, dass Worte und soziale Ächtung töten können, sondern auch bereits die manchmal tödliche Macht des öffentlichen Wortes, der Hysterien der Medien, inklusive des Gefahrenpotentials aller Kriegspropaganda und Xenophobien vorweggenommen. Der Dekalog ist nicht das einzige Regelwerk grundsätzlicher, gewaltreduzierender Art, das unseren modernen Gesellschaften vorausging. Mindestens so wichtig ist das Rachegebot („Mein ist die Rache“ ), das vor allem die gesellschaftszerstörende Gewaltspirale der Blutrache in den Griff zu bekommen anstrebt – das Schuldenerlaß – Gebot (alle 49 Jahre), das ewige Zinsknechtschaft verbietet und soziale Gemeinschaften zu immerwährendem Neuanfang und Chancenausgleich ermahnt oder auch das Verbot unmäßiger Revanche – Feldzüge. („Auge um Auge“ – das heißt: Nicht mehr an Vergeltung ist erlaubt, als Dir selbst zugefügt wurde, auch wenn die eigenen Rachegefühle blind machen und jedes Maß im Gerechtigkeitsempfinden verschieben.) Einsamer Höhepunkt und schon nicht mehr ganz von dieser Welt ist das Gebot der Feindesliebe in der Bergpredigt. ( Die Nationalsozialisten nannten es „Gebote einer Sklavenmoral“) III Den Einwand, das alles habe auch in vormoderner Zeit nicht viel genützt, darf man an diesem Punkt der Überlegungen nicht ignorieren und auch nicht den Verweis, alles in allem seien gerade mit diesem monotheistischen Regelwerk doch ganz schön viele Kriege initiiert und schöngeredet worden, reichlich Waffen gesegnet und brutale Heerführer von „Kreuzzügen“ zu Gottgesandten erklärt worden. Wer wollte das angesichts der Summe aller Kriege und besonders angesichts aller Religionskriege der Menschengeschichte bestreiten? Allerdings spricht es nicht gegen diese wie gegen andere Regeln und Normen, die sich die Menschen je gegeben haben, dass gegen sie verstoßen wurde. Kein Gebot, kein Gesetz hatte je die letzte göttliche Macht oder überirdische Autorität, zu verhindern, daß dagegen verstoßen würde. Der Sinn von Gesetzen und Regeln so grundsätzlicher Art ist es, die Mehrzahl der Mitglieder einer Gemeinschaft zur Regelbefolgung anzuhalten oder ihnen doch wenigstens – wenn der Gewaltausbruch nicht zu vermeiden war oder auch Orgien von Blutrache und Gesetzlosigkeit ausgebrochen sind – den Weg zurück zu geordneten Gemeinschaftszuständen mit vereinbarten Regeln wieder zu ermöglichen. Ihr Sinn liegt darin, Kriege und Gewalttaten b e e n d e n zu können – schon das allein wird als Segen und Bedingung für den Fortbestand ganzer Völker empfunden – grundsätzlich verhindern können sie es nicht. Deswegen liegt ja auch die größte Bindungswirkung solcher Gebote dann vor, wenn die vergangenen Gewalterfahrungen noch im Bewußtsein der Gemeinschaften lebendig sind. Ist der Krieg erst aus dem Gedächtnis verschwunden, verringern sich auch die Chancen und die Bereitschaft, die Regeln und Verträge weiter einzuhalten, die ihn einmal beendet haben. . IV. Das ganze Mittelalter christlich – jüdisch – islamisch – europäischer Prägung hat diesem grundsätzlichen Regelwerk über die Eindämmung von Kriegen, Blutrache, Haß und Gewalt – außer viel blutiger Praxis und der Erfindung mancher neuer Waffentechnik und des Schießpulvers – nicht all zu viele neue Akzente hinzugesetzt. Außer der einen – allerdings wesentlichen – Neuerung, daß die Fürsten, Könige und Päpste ihre Kriege und Schlachten zunehmend mit dafür ausgebildetem und bezahltem Personal, mit Söldnern und Landsknechten als Fußvolk, mit Rittern und später Generälen und militärischen Stäben durchführten. Die Bauern mußten das mit Abgaben und dem Zehnten bezahlen, hatten aber wenigstens theoretisch dafür die Aussicht, vom Kriegsdienst verschont zu werden. Das brachte drei wesentliche Vorteile in Bezug auf die Regelung von Kriegsrecht und Kriegsnormen: - Kriegspersonal und Zivilisten waren grundsätzlich getrennt. Die Zivilisten mußten zwar manche Plünderung und Übergriffe der Soldateska erdulden, waren aber doch nicht entscheidend für Kriegserfolg, Kriegsdurchführung, Kriegsausrüstung und Kriegspropaganda. - Das Kriegführen wurde zur Profession, zum Kriegshandwerk. Es wurde zum Ausbildungsberuf, der bestimmten Regeln in der Durchführung folgte. Disziplin und Nüchternheit, je gelegentlich sogar Ritterlichkeit und Fairness wurden angemahnt. Unter anderem hatten Soldaten erkennbare und für Freund und Feind unterscheidbare Uniformen zu tragen. - Besonders wichtig: Ein Krieg mußte formal erklärt werden, bevor er begann. Ein Krieg konnte und mußte deswegen auch nach einsehbaren Kriterien beendet werden mit einem Friedensschluß oder einem Friedensvertrag. Frühere Kriegsgegner waren ( im Idealfall) keine Erbfeinde, sondern konnten unter anderen Bedingungen sogar wieder Verbündete werden. Das brachte einen Hauch von realpolitischer Vernunft in die Kriegsführung. Ein Friedensschluß mußte sogar den Besiegten mit einschließen und durfte ihn nicht endlos demütigen. Das alles ist idealtypisch gemeint. So idealtypisch aber bestimmte es eine herrschende gesellschaftliche Übereinkunft und das Denken einer ganzen europäischen Militärkaste, deren Errungenschaften schließlich die Denker der Aufklärung und der Staats – und Gesellschaftsreformer des 18.Jahrhunderts in den Satz zusammenfassen konnten, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (Clausewitz), bei dem es letztlich nur um die Klärung unterschiedlicher politischer Interessen gehe. Moralisch galten die militärischen Gegner als gleichwertig. Das alles spiegelt den großartigen Optimismus des Jahrhunderts der Aufklärung, das meinte, den Krieg in seinem Verlauf mit Vernunft regeln zu können und in diesem Sinne und mit dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant das Menschengeschlecht heranbilden zu können. Relgiöse Eindämmungen schienen nicht länger vonnöten. V. Die große Ernüchterung kam, als weder der Krieg in Planung und Ausführung, noch die Politik länger Angelegenheit einer dafür privilegierten und gesellschaftlich abgesonderten Elite bleiben konnten. Mit der französischen und amerikanischen Revolution kam nicht nur das Streben nach Freiheit und Gleichheit aller Stände, und des persuit of happiness für jeden Staatsbürger, sondern auch der nationale Chauvinismus und damit sein wichtigstes Instrument, der Krieg ganzer Völker gegen andere Völker – oder, in der amerikanischen Variante , der Krieg ganzer Volksgruppen gegen andere Volksgruppen. In Ihrem Gefolge kam die technische Revolution der Waffensysteme und die einer mediengestützten kriegstragenden Propaganda, die ganze Völker, ja Kontinente in Kriegstaumel und Kriegstrunkenheit versetzten. (Texte von Rosa Luxemburg, Robert Musil, Thomas Mann) Überhaupt wurde erst zu diesem Zeitpunkt der Nationen – Begriff mit Emphase gefüllt, der den Krieg einer Nation gegen eine andere zur „heiligen Mission“ ganzer Völker machte und mit „absoluter Feindschaft“ausfocht Aus solchen realen und mentalen Kriegszuständen war schwer herauszufinden. Die unterlegenen Parteien wurden nicht in die Friedensordnungen einbezogen (Beispiel: Versailler Vertrag), sondern brüteten neue Rachefeldzüge und ewige Feindbilder aus. Da im 20.Jahrhundert nach zwei Weltkriegen in Europa faktisch keine Familie ohne geschädigte, gefallene, gedemütigte Krieger und Zivilisten war, dauerte es unendlich lange, bis die erlittenen Wunden und Verluste im Alltagsleben verheilt, die Rachegedanken und Chauvinismen gemildert und neuen Ordnungen und neue Machtkonstellationen akzeptiert wurden. Faschismus, Revanchismus, Rassenhass und Dämonisierungen von Fremden kamen aus solchen unverarbeiteten nationalen Traumata. Es war aber auch die Geburtsstunde der ersten umfassenden, zunächst aber gescheiterten Versuche, zu einer Weltfriedensordnung zu kommen, die den Krieg durch gegenseitige Übereinkunft aller vernunftbegabten Menschen verhindern oder doch wenigstens eindämmen sollten, wie z.B. in der Brüsseler Konferenz von 1874, und den Haager Konferenzen über eine von allen Staaten zu ratifizierende Landkriegsordnung. In der Schweiz entstand 1863/1876 das Rote Kreuz und wurde schließlich im Jahre 1949 die Genfer Konvention vereinbart, die nichts anderes ist als der Versuch, allgemeinverbindliche Normen in die neuen Volks– und Nationenkriege mit ihren immer brutaleren Massenvernichtungsmitteln zu installieren. Es werden Regeln vereinbart - zur Verbesserung der Lage der Verwundeten im Felde und auf See - über die humane Behandlung der Kriegsgefangenen - über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten - über den Schutz der Opfer internationaler und nicht internationaler Konflikte. Noch grundsätzlicher regelt nach dem Ende und unter dem Schock des zweiten Weltkriegs die Charta der Vereinten Nationen von 1949, daß Kriege zwischen Nationen insgesamt als völkerrechtswidrig anzusehen sind und die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit eines jeden Staates zukünftig zu achten ist. Es sei denn , es treffen folgende Ausnahmebedingungen zu: - die Zustimmung eines betreffenden Staates zu einer Intervention, also ein Hilfeersuchen - das Vorliegen eines Selbstverteidigungsrechts bei Angriffen von außen - ein Mandat des UN-Sicherheitsrats nach Kap VII der UN-Charta für friedensbewahrende oder friedensschaffende Maßnahmen VI. Wir sind einen langen historischen Weg gegangen, um uns nun konkret zu fragen, wie passen die >Drohnen< in diese historische Reihe der Kriege und Kriegsentwicklungen, der Waffensysteme und der sie begleitenden Versuche, Regeln des humanitären Völkerrechts zu entwickeln und die Ausbreitung von Kriegen zu verhindern? Sind die Drohnen nur eine technologische Neuerung, die keine neuen Normkonflikte aufwerfen? Sind sie gar ein rationales Mittel der Vermeidung von Toten und Kriegsopfern und der Eindämmung von Kriegsverläufen? Oder sind Sie ein Bruch zu allen bisherigen zivilisatorischen Regeln, die wenigstens das Ziel, wenn auch nicht die Omnipotenz hatten, Kriege einzudämmen und unkontrollierbare Gewaltausbrüche einzuhegen, während die Drohnen gerade diesen Normbereich verlassen? Sind die Drohnen vielleicht gerade ein Zeichen dafür, daß sich der Krieg den menschlichen Absprachen und Regelungen entzieht und tendenziell droht, sich zu verewigen und zu individualisieren? VII. Die Befürworter der Drohnentechnologie sagen: „Was für Hysterien!! Die Drohnen sind doch einfach nur eine technische Neuerung der Waffentechnologie. Sie ersparen uns als Aufklärungsdrohnen Fehleinschätzungen im Kriegsgeschehen. Und sie schützen im Falle der bewaffneten Drohnen das Leben unserer Soldaten.“ Sie haben damit sogar in bestimmter Weise recht – nur völlig anders als sie meinen. Die Drohnen erweitern tatsächlich das Gesichtsfeld des Ur–Menschen, der sich einmal aufrichtete, um damit zum ersten mal in einem Radius von 360 Grad um sich sehen zu können am Ende einer langen Menschen – Entwicklung zu einem Gesichtsfeld, das theoretisch und bald auch praktisch die ganze Erde umfassen und überall „Feinde“ ausmachen kann. Aber die Befürworter der Drohnen mogeln sich einfach selbst in die Tasche, wenn sie behaupten, das diene nur der Erweiterung ihrer Erkenntnis und der Analyse möglicher Gefahren für die eigene Sicherheit. Die Drohne ist – auch als Aufklärungsdrohne – immer noch eine Waffe und ein Waffenträger, kein Fernrohr oder Teleskop. Sie ist das zu Ende entwickelte Prinzip der Tötung auf Distanz, der Tötung ohne jedes eigene Risiko, der Tötung, nur weil ich es entscheide. Sie agiert in einem Kampfgebiet ohne sichtbaren Täter, aber mit Opfern, auf einem tendenziell weltweiten Schlachtfeld. Die Befürworter der Drohnen sagen, dahinter steht doch immer noch ein Mensch, der die Drohne programmiert hat, der die Entscheidung fällt. Manchmal ist es sogar der Präsident des mächtigsten Staates der Erde ( wohlgemerkt: Osama Bin Laden ist nicht durch Drohnen getötet worden, es war nur eine Medienszene, die das nahe legte ! Allerdings ist der Konvoi von Muammar al-Gadaffi von einer Drohne angegriffen worden, und damit eine Person, die eigentlich vom bestehenden Völkerrecht geschützt war ). Aber die Befürworter der Drohnen beantworten nicht die Frage, wer diesen Menschen programmiert, wer ihn kontrolliert, welche Daten er dem Drohnenprogramm eingibt und wer wiederum dieses Programm öffentlich diskutiert, verantwortet und kontrolliert. Sie blenden aus, daß die Zielvorgabe ohne vorheriges Gerichtsverfahren, ohne Anklage und Verteidigung, quasi als rechtsstaatlicher Kurzschluß funktioniert, bei dem das Rechtssystem implodiert. Der Begriff „Gezielte Tötung“ klingt zwar wie ein militärischer Fachausdruck, ist aber rechtlich nirgendwo verankert. Nach aller bisherigen Praxiserfahrung in Israel und in den USA werden die Drohnen–Programme zur gezielten Tötung „feindlicher“ Individuen, so sagen die Befürworter, zwar mit Zielvorgaben der Geheimdienste gefüttert, die aber ein anderer geheimer Ausschuß überprüft, dessen Ergebnis am Ende den politisch Verantwortlichen, Präsident oder Verteidigungsminister, zur endgültigen Entscheidung vorgelegt wird. Und die sind demokratisch gewählt und legitimiert. Das mag so sein, aber es ähnelt als Rechtsvollzugsorgan unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dennoch fatal den elitären Gruppen der Lynchjustiz und des Fememordes in vor – rechtstaatlicher Zeit, die auch keine Gewaltenteilung, keine unabhängige Justiz, keine unabhängigen Richter, keine Verteidigung, kein „Im Zweifel für den Angeklagten“ kannten. Auch ein Präsident der Vereinigten Staaten ist nicht und sollte nie ein Herr über Leben und Tod sein, wenn dessen Urteil nicht überprüfbar und korrigierbar ist. Sonst wäre es ein Rückfall in feudale Willkür und der Gedanke des Rechtsstaats nähme Schaden. (Schon gar, wenn er sogar für einen Bürger des eigenen Landes außer Geltung gesetzt wird.) Die Befürworter des Drohneneinsatzes sagen, gerade mit der Wahl der Drohnen reagieren wir doch auf die berechtigte Kritik an früherer Kriegsführung, – z.B. der Atombombe, z.B. der chemischen oder biologischen Waffen oder auch jener Flächenbombardements, in der regelmäßig tausende und hunderttausende Zivilisten Opfer des Krieges wurden, die weder schuldig noch beteiligte Kämpfer waren. Insofern ist die Drohne doch ein Beitrag zur Humanisierung des Krieges, zur Präzisierung des Waffeneinsatzes und zur Reduzierung der Kriegsopfer. Dem wäre sogar zuzustimmen, wenn es denn beim Drohneneinsatz wirklich nur um eine Handlung im Kriegsgeschehen ginge, bei dem weiterhin das Kriegsvölkerrecht in Kraft wäre. Die übergroße Mehrzahl aller Drohneneinsätze werden aber schon heute außerhalb formal erklärter Kriege geflogen, in Gebieten und Staaten, mit denen kein Kriegszustand besteht. (Pakistan, Iran, Libanon, Jemen). Die Drohnen agieren also potentiell weltweit in einem rechtsfreien Raum in einem meist unerklärten Krieg, also in einer normativen Grauzone. Ja, es scheint geradezu ihre Absicht zu sein, die Erklärung eines formalen Krieges, in dem im Idealfall Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht Geltung beanspruchen, zu unterlaufen, in der Absicht, Ziele, die sich herkömmlich nur durch Kriege verwirklichen ließen (z.B. den Sturz eines Regimes oder seines Repräsentanten) auf kürzestem Wege, in einem rechtlich nicht gestützten Prozeß realpolitisch zu erreichen, bevor überhaupt die Diplomaten, Juristen und Parlamente zum Zuge kommen. Bei Lichte besehen führen da Staaten Krieg gegen als „Feinde“ deklarierte Individuen. „Das dämonisierte Individuum ist der große Mythos unserer Zeit .“ ( Armin Krishnan) Man möge bitte nicht so naiv formaljuristisch argumentieren, sagen die Befürworter der Drohnen, tatsächlich bestehe nun mal weltweit ein >Asymetrischer Krieg< gegen den Westen und seine führende Weltmacht, der auch nicht formal erklärt worden sei. Die Zeit der konventionellen Kriege der Neuzeit und der geordneten Schlachtformationen der Weltkriege sei definitiv vorbei und nur noch Rechts- und Kriegsgeschichte. Das ist als Argument nicht falsch. Aber es ist auch keineswegs beruhigend. Denn es heißt im Klartext: Das alte Völkerrecht hat die Kraft und die Zustimmung verloren, den Krieg und die Kriegshandlungen heute von der Zivilgesellschaft fernzuhalten und damit eindeutig zwischen Friedenszustand und Krieg zu unterscheiden. Wenn es nämlich stimmt, daß alle bisherigen Regelungen und Normen des Kriegsvölkerrechts in den neuen Gefahrenanalysen für die Staaten der Welt obsolet werden, weil sie für die neue Wirklichkeit nicht mehr taugen, wären wir faktisch geopolitisch in einem völlig neuen unheimlichen Raum mit allen Sicherheitsfragen und Sicherheitspolitiken. Es wäre eine Deregulierung im Bereich der Sicherheitspolitik, die weitreichendere Folgen hätte als die Deregulierung im weltweiten Finanzmarkt seit 1990. Wir müßten umgehend mit der Diskussion darüber beginnen, ob die Gesellschaften und Zivilisationen aller Demokratien das auch so sehen, und ob sie akzeptieren, daß faktisch nun jeder in einem normativen Niemandsland zur Kriegswaffe greifen kann, der sich bedroht fühlt und der sich die Technik und Instrumente dazu beschafft hat. Und dabei kommt problemverschärfend hinzu, daß so die Kriegswaffe als >Waffe für jeden< in eine Weltgesellschaft zurückkehren würde, in der längst weder die religiösen Dekaloge der Gewaltvermeidung, noch die kategorischen Imperative der Aufklärung als Norm akzeptiert sind und zur Grundverfassung des menschlichen Bewußtseins gehören. weiter auf Seite 2
© 2013 Dr. Antje Vollmer