Frankfurter Rundschau 09.11.2001
Es geht um nicht weniger als Krieg und Frieden
Zum Streit über den möglichen Einsatz der Bundeswehr im Kampf
gegen den Terrorismus: Sieben Beiträge aus den Reihen der rot-
grünen Regierungskoalition Die Bundesregierung hat am Donnerstag
in der Bundestagsdebatte über die Grundlagen einer Bereitstellung
von Bundeswehrkräften im Kampf gegen den Terrorismus das
Vorgehen der Nato verteidigt. Wir dokumentieren Auszüge aus den
Reden von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) (von ap
übermittelt) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) (dpa). Für die
Frankfurter Rundschau haben zu diesem Thema die
Bundestagsabgeordneten Antje Vollmer, Winfried Nachtwei, Hans-
Christian Ströbele (Bündnisgrüne), Hermann Scheer und Konrad
Gilges (SPD) ihre abweichende Haltung niedergeschrieben. Sie hatten
in der knappen Parlamentsaussprache keine Gelegenheit, ihre
kritische Position vorzutragen.
.....
Von Antje Vollmer
1. Klarheit: Nichts ist klar: nicht der Zeitraum, nicht das Einsatzgebiet,
nicht die konkrete Aufgabe, für die wir die Soldaten bereitstellen
sollen. Wer einen Krieg gegen ein Land beginnt, sollte aber vorher
deutlich die Ziele definieren, die er politisch und/oder militärisch
erreichen will. Dies ist nicht geschehen, statt dessen wurde das
Kriegsziel unter der Hand umdefiniert: Aus dem Kampf gegen bin
Laden wurde unversehens ein Krieg gegen das Taliban-Regime. Und
aus dem Krieg gegen das Taliban-Regime kann eine Kampagne gegen
eine unbegrenzte Anzahl potentieller Rückzugsgebiete werden
(Somalia, Pakistan, Irak usw.). Demnächst könnte das Kriegsziel
erneut umdefiniert werden. So äußerte der amerikanische
Sicherheitsexperte Richard Perle neulich die Vermutung, dass der
Konflikt bald auf den Irak ausgedehnt werde (siehe Der Spiegel vom
22.10.2001).
2. Vorratsbeschluss: De facto handelt es sich bei der Entscheidung,
die das Parlament zu fällen hat, somit um einen Vorratsbeschluss: Der
Bundestag soll abstrakt, das heißt ohne genaue Kenntnis, wann und
unter welchen Bedingungen der tatsächliche Einsatz stattfinden wird,
zustimmen. In wenigen Wochen kann sich die Kampfsituation aber
schon radikal und gefährlich geändert haben. Eigentlich müsste der
Bundestag dann erneut befasst werden. Ein solches Vorgehen wird
vom Wortlaut des Regierungsantrags aber nicht gedeckt. Danach
würde vielmehr erst der nächste Bundestag nach den Wahlen erneut
entscheiden können.
3. Was fehlt: Ich vermisse im Antrag der Bundesregierung aber vor
allem die entscheidenden politischen und konzeptionellen Fragen - sie
werden nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet: Was
kommt eigentlich nach dem Militäreinsatz? Was wird aus den
islamischen Staaten während und nach dem Konflikt? Wie kommen
wir zum Weltfrieden zurück? Deshalb habe ich den Eindruck, dass wir
uns innerhalb einer strukturell dummen und unfreien Strategie
bewegen. Dumm ist sie deswegen, weil sie keine Alternativen zulässt.
Die notwendige Aufgabe, den Fundamentalismus zu bekämpfen, droht
zu scheitern. Denn die gegenwärtige weltweite Phalanx gegen den
Terrorismus birgt die große Gefahr, dass sich Terroristen in ihrem
finsteren, verschwörerischen Weltbild, für das sie gerne Märtyrer sein
möchten, bestätigt sehen. Ich bin davon überzeugt: Islamisten können
letztlich in ihren Köpfen und in ihrer Wirkung nur von Menschen
bekämpft werden, die den Islam leben. Wir müssen der islamischen
Welt diese Chance zur Ausdifferenzierung und zum Kompromiss mit
der Moderne geben, anstatt sie in eine westlich dominierte Phalanx zu
zwingen. Und sie muss die Möglichkeit bekommen, aus sich heraus
einen in den eigenen Werten und Traditionen begründeten Machtpol
auszubilden - so wie es den starken amerikanischen, den halbstarken
europäischen und den kommenden asiatischen Pol gibt. Die Zeit des
Unilateralismus ist vorbei. Das ahnt die Welt - und darüber auch in
einem Bündnis zu streiten, muss der Inhalt einer verlässlichen
Solidarität mit den Vereinigten Staaten sein - wenn diese denn mehr
© 2015 Dr. Antje
Vollmer