Revolte und Machismo
Antje Vollmer
Vizepräsidentin des
Deutschen Bundestages
(aus dem Buch "Die schöne Macht der Vernunft" - Auskünfte über eine
Generation)
Revolte und Machismo
Rede auf dem SDS-Kongreß,
Frankfurt am Main 1988
Eine Vorbemerkung vorweg. Ich war nie Mitglied des SDS. Von daher bin
ich sozusagen illegitim auf diesem SDS-Revival und verdanke meine
namentliche Erwähnung eher dem chronischen Frauenmangel im
Programm. Nicht, daß ich nicht in den berühmten SDS gewollt hätte. Im
Gegenteil, auch ich bin '62 nach Berlin gegangen mit nichts anderem im
Kopf, als in diesen berühmten SDS reinzukommen. Wir waren nämlich
damals alle neugierig und revolutionstatensüchtig, wie man es nur in
dieser einzigartigen deutschen Mischung aus Adenaueräramief, Enge
und westfälischem Kleinstadtmilieu sein konnte. Aber meine Zeit für
Politisches war damals bei euch - und das heißt im wesentlichen bei den
Männern des SDS - offensichtlich noch nicht gekommen. Auch nicht bei
meinem zweiten Versuch '67. Und so kommt es, daß ich durch diese
mißlungenen Annäherungen an euch gleichzeitig eine eurer fleißigsten
und sorgfältigsten Zeitzeuginnen wurde. Da ich nun nicht damit
beschäftigt war, die Spitze der Bewegung in das zähe Fleisch dieser
Republik zu rammen, hatte ich viel Zeit, euch bei eurer Tätigkeit, bei fast
jedem Teach-in und bei sicherlich jeder Demo genau zu beobachten. Und
so, irgendwo am Rande des Audimax, das schöner war als dieser Saal,
lehnend, rauchend, die Hände in die bekannten blauen Jacken
geschoben, habt ihr ungefähr den Standort markiert, aus dem meine drei
Thesen zur Abrechnung mit dem SDS stammen, die ich euch jetzt
vortragen will.
These eins:
Euer Werk, und damit meine ich speziell die Männer des SDS, war die
Verknüpfung von Revolte und Machismo. Und damit habt ihr nicht nur
die Revolution für die Frauen verhunzt, sondern auch die größte Chance
zur Vermeidung eurer eigenen Niederlage vertan. Von Anfang an nämlich
hatten die Frauen bei euch keinen Platz. Jedenfalls nicht da, wo wir ihn
wollten, nämlich in der ersten Reihe und neben euch. Und neben euch,
das meinte nicht, mal hier und mal da in euren kurzen alkoholisierten
Nächten, sondern das sollte heißen: neben euch am hellichten Tag und in
der Sonne eures wachsenden Ruhms. Nun werdet ihr sicher in eurem
Gedächtnis auch zweieinhalb Namen von politischen Frauen aus euren
Reihen hervorkramen. Nutzt aber nichts. Denn der Skandal eurer eigenen
autoritären Stellung, der schon in dem Begriff "Führer" der
Studentenbewegung lag, wäre euch todsicher aufgefallen, wenn es auch
wieder Führerinnen gegeben hätte, was aber, wie gesagt, nicht der Fall
war. Weswegen ihr den Skandal ja auch nicht bemerken konntet. Damit
wart ihr natürlich in den bequem ausgetretenen Pantoffeln eurer Väter.
Eurer realen Nazi-Mitläufer-Täter-Väter und auch eurer geistigen
Frankfurter-Schule-Väter der intellektuellen Linken. Daß erst die
Klassenfrage und dann allerlei und dann erst viel später die
Geschlechterfrage kommt, das hatten Marx und Engels längst
klargestellt, in alter proletarischer Patriarchen-Herrlichkeit.
Aber dieses Mal hattet ihr nicht die "Gnade der frühen Geburt". Ihr wart
just zu dem Zeitpunkt auf der Tribüne erschienen, wo nach Adam Riese
und nach Lieschen Müller und zu eurem Pech tatsächlich die
Emanzipation der Genossinnen, auch in den Organisationen der Linken,
anstand. Und nichts anderes als das. Eure Antwort darauf war die
Verbindung von Revolte und Machismo, der linke Machomann,
ausgewiesen durch eine brillante Rhetorik, eine leicht ins Zynische
kippende Moral und eine flotte Freundin, er wurde zum alles
bestimmenden Männertyp der deutschen Linken. Wer dazu nicht gehörte,
hatte keine Chance, bis zum heutigen Tag.
Man betrachte nur die erste und die zweite Garnitur der GRÜNEN. Es wird
sich kein einziger weißer Rabe darunter verloren finden. Die neuen
Lebensformen, von denen wir träumten, aber auch das Saubermachen in
den Kinderläden, die endlosen Debatten über informelle Machtstrukturen
und autoritäre Charaktere auch unter uns, das waren Aufgaben und
Themen fürs Fußvolk. Und allenfalls verkrocht ihr euch allesamt hinter
den schmalen Schultern von Rudi, der so herrlich altmodisch,
unzeitgemäß noch lebte. Unsere Bilanz, unsere eigenen Utopien einer
anarchischen, und das hieß auch männerherrschaftsfreien, Revolution
verloren sich Stück für Stück in der Alltagsmaloche der Organisiererei,
da waren wir für euch allerdings unersetzlich und sozusagen SDS-
staatstragend, und sie verloren sich auch in euren, im übrigen immer
ungemachten Betten und in jenen gänzlich unerotischen Sprachglossen,
die ihr so befreiend unbürgerlich fandet. Darüber hinaus...
(Zwischenrufe: COHN-BENDIT: Seit wann kommt es denn darauf an, ob
die Betten gemacht sind?)
Also, mir macht es was aus, ich finde gemachte Betten angenehm.
Darüber hinaus, außer der Bettenfrage, wurde einfach unsere ehrlich
vorhandene Bereitschaft zu wirklichen Lebensexperimenten, nämlich von
Toleranz, von Aufgabe der persönlichen Besitzansprüche, und unsere
Fähigkeit, uns selbst in Frage zu stellen, bis zum Rand ausgebeutet. Was
eine emanzipierte Genossin so alles verkraften kann, das fand in euch
seine spitzfindigsten Winkeladvokaten. Was unser Anteil daran war, das
steht in allen Gesichtern der heute über vierzigjährigen Frauen
geschrieben. Und wenn irgendwann einmal die Steine das bessere
Argument als Tomaten waren, damals in Frankfurt, da wäre der Tausch
wohl angebracht gewesen, um Schlimmeres
zu verhindern. Dies Versäumnis fällt tatsächlich auf unser Konto.
Aber euer Preis war auch nicht von Pappe. Gerade dadurch, daß ihr so
leichtfertig auf den Beitrag zur Revolution verzichtet habt, den wir hätten
darstellen können, habt ihr, denke ich, eine Chance vertan, die eure
Niederlage vielleicht, ich bin nicht sicher, vermeidbar gemacht hätte. Wir
Frauen haben es jedenfalls früher gemerkt: Den wachsenden Bruch
zwischen eurer proletarisch-revolutionären Theorie und eurer
kleinbürgerlichen Praxis, das Spiel mit dem Feuer der Militanz und der
"Propaganda der revolutionären Tat", die wachsenden Züge der
Elitearroganz, zu der jeder Linke jedes Zeichens neigt, und die
Menschenunfreundlichkeit der beginnenden Sektenbildung. Gerade die
Frage nach der neuen menschlichen Ethik der Revolution, ohne die
überhaupt keine Revolution auskommen kann, war
euch aber am meisten verhaßt und am schnellsten totzukriegen durch
Lächerlichmachen und durch jenen sich aufgeklärt gebenden Zynismus,
der bald zum alles durchdringenden Sprach- und Denkmilieu der Linken
wurde.
These zwei:
Die Militanz der RAF hat eure Militanz tatsächlich zu Ende gedacht. Ihr
habt ihnen das negative Lehrbeispiel aber schlecht gedankt. Trotz
wiederholter Aufforderung in den Vorbereitungstagungen konntet ihr
wohl aus eurer Mördergrube kein Herz machen und dieses Thema mit ins
Programm aufnehmen. So spaziert es denn, dieses Thema der RAF,
durch den Dienstboteneingang herein. Ihr habt doch nicht etwa im Ernst
annehmen können, euch darum elegant herummogeln zu können. Und
auch nicht mit ein paar Floskeln von Trauer, Helmut Schauer. Natürlich
führte der Weg vom SDS nicht logisch und nicht gradlinig in die RAF, wie
er nicht logisch und nicht gradlinig in die SPD und nicht logisch und
nicht gradlinig in die K-Gruppen
und zu Bhagwan führte. Aber die RAF war eben auch eine mögliche
Weiterentwicklung von eurem Aufbruch, von der darin angelegten
persönlichen Rigidität, von dem einzelkämpferischen Abrechnen mit der
Nazigeneration und von den Selbstexperimenten der Bürgerkinder in der
Einübung von Militanz, wobei wir meistens als Kinder der letzten
Kriegsjahre zu Anfang ja eigentlich eher gewaltfrei gewesen waren. Das
Revolutionäre der Tat liegt in dem Gesetzesbruch an sich, sagte Ulrike
Meinhof zur Frankfurter Kaufhausbrandstiftung, und nicht wenige von
euch, ihr wißt das, übten sich trainingsmäßig in kleinen Illegalitäten wie
Kaufhaus- und Bücherklau, im Autoklau und träumten von Größerem.
Unsere Phantasien waren in dieser Etappe alle waffenstarrend und
omnipotent, wenn auch irgendwie spielerisch. Aber wer glaubt denn
nicht, daß die Anfangszeiten der RAF nicht auch dieses Moment von
Bonnie und Clyde gehabt hätte, bis sie eines Tages aufwachte in einer
Umwelt, die sich mit deutscher Blitzkriegsgeschwindigkeit brutalisiert
hatte. Wie früh auch immer und wie ernsthaft auch immer einzelne von
euch versucht haben, auf die weitere Entwicklung der RAF noch Einfluß
zu nehmen, wahr bleibt, die RAF, so wie sie war und aufgerieben wurde,
hat euch mehr geholfen, eine gefährliche Lebenskurve noch eben zu
kratzen, als ihr ihnen helfen konntet. Erst am Lehrbeispiel der
Geschichte der RAF-Leute konntet ihr sehen, daß aus so was eben so
was kommt, und wie nah am Abgrund einer bürgerlichen Existenz ihr
selbst entlanggeschlittert seid. Es war die RAF mit ihrem Beispiel, die
euch nahegelegt hat, doch besser einen anderen Ausweg zu suchen. Nun
ist das immer so, jede Bewegung spült auf ihrem Rücken einen Teil der
Beteiligten nach oben, in Professorentürme und Journalistenbüros
zumal, aber auch in Mandate und wenn möglichen einen Ministersessel.
Dafür überläßt sie einen anderen Teil dem Abgrund, und das Gros
überläßt sie dem Sumpf, das ist ja nicht neu. Auch ist es bekannt, daß die
Nach-oben-Gespülten die Geschichte der Bewegung schreiben. Aber daß
sie gleichzeitig auch die einzig mögliche Überlebensstrategie formulieren
und daß sie die, die dabei versunken sind, zu nicht mehr Existierenden,
zu Unpersonen, auch für die Linken, definieren, das war neu. Das ist
beste deutsche Wertarbeit in der Verdrängungsmeisterei.
Um das zu messen, legte ich ein ganz plattes Kriterium an... Bei allen
RAF-Leuten, die ich kenne, ist seit dem deutschen Herbst keiner von
euch aufgekreuzt, außer, soweit ich weiß, K.D. Wolff, einige Anwälte
selbstverständlich und Rudi, als er noch lebte. Das ist ein bißchen wenig,
ich finde, das ist eindeutig zu wenig. Da muß man doch fragen, was euch
abgehalten hat, die zu besuchen, von denen ihr doch so
Überlebensrettendes gelernt habt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß
deren unerschütterliche Unbelehrbarkeit und herrische Kämpfergeste,
die ihr öffentlich bestöhnt, euch heimlich ungeheuer imponiert haben.
Ihr, die ihr jede Menge Kompromisse gemacht habt, wie jeder halt in
fünfzehn Lebensjahren und noch dazu nach einer so
lebensgeschichtlichen Niederlage, die so schwer war wie unsere, ihr wart
für euer Nichtstun und Wenigtun in Sachen Hochsicherheitstrakt,
Isolation - auch von den Debatten der Linken wurden die nämlich isoliert
- und Amnestieforderungen ja wunderbar entlastet, wenn die im Knast so
unerschütterlich doof an ihren alten Parolen und Weltsichten festhielten.
Jeder durfte sich eben ändern wegen der Verhältnisse, die eben mal so
sind, nur eben die, die nicht. Sonst hättet ihr euch ja auch um diese für
einen Ausweg aus dem Knast bemühen müssen. Dort aber habt ihr sie
offensichtlich lieber als Denkmal der letzten aufrechten Zeiten gehabt.
Und so ist es euch denn eben passiert, daß ihr sie schlicht vergessen
habt, die, die eben noch nicht alle tot sind.
These drei.
Jetzt - tut mir leid - geht's auch um die GRÜNEN. Auch wenn euch das
Fräulein nicht gefällt und das Kind euch mißraten erscheint und von
zuviel gesunder Nahrung genährt - an die Gretchenfrage, wie haltet ihr's
mit den GRÜNEN, werdet ihr nicht vorbeikommen. Als eine der Absichten
des Altherrentreffs habt ihr angegeben, die Linke in der Bundesrepublik
müsse sich wieder zu Wort melden. Sie wolle nun ernsthaft das kritische
Denken wieder anfangen. Themen wie Freiheit und Sozialismus und
Radikaldemokratie seien eure Themen und dürften nicht den
Reaktionären überlassen werden. Das höre ich gern. Gleichzeitig sagt
ihr, zu solchen Alltagswidrigkeiten wie zu den GRÜNEN oder zu der SPD
wolltet ihr euch diesmal nicht äußern. Euer Auge hat weitere Horizonte
im Blickfeld und schweift locker ins dritte Jahrtausend hinüber. Und da
sag ich, hoppla! Mir scheint, ihr seid immer noch ins Exil verliebt, wie es
die deutschen Linken immer waren. Ist es nicht da erzwungene äußere
und nicht mehr das innere Exil, so darf es diesmal wohl das historisch
zukünftige sein, weil die gegenwärtigen Möglichkeiten so wenig gefallen.
Ulrike Meinhof hat einmal etwas sehr Kluges und Nachdenkliches gesagt.
Das war zu der Zeit, als sie, nur noch gehetzt, längst wußte, daß sie
verloren hatte und bloß noch ihre Haut so teuer wie möglich zu Markt
tragen konnte. Damals hat sie gesagt, eine der Ursachen ihrer Fehler und
ihres Scheiterns wäre das völlige Fehlen einer Generation von
erfahrenen Leuten aus dem Widerstand gewesen, denen sie ihren Rat
auch abgenommen hätte, weil sie eben neben uns auf der Straße waren
und nicht irgendwo in irgendwelchen Sesseln. Und sie hat sich da positiv
auf das Beispiel von Sartre und Simone de Beauvoir in Frankreich
berufen. Und deswegen wollte ich euch fragen, was macht ihr, die ihr ja
politische Erfahrungen habt, auch Niederlagenerfahrung, was macht ihr
eigentlich in der jetzigen Situation mit euren Erfahrungen? Wenn ich
mich so bei den GRÜNEN umgucke, so haben wir zweierlei Gruppen von
euch geerbt. Das eine sind die Opportunisten, die Karstens Voigts der
zweiten Generation - und das ist auch mal ein Nachdenken wert, warum
gerade unter den Realpolitikern bei uns so auffällig viele aus den '68er
Jahren sind, und das müßte auch euch zu denken geben. Und die zweite
Gruppe von Menschen, die wir geerbt haben, das sind die ganz Wahren,
und die gleich in mehrfacher Ausführung. Wir haben die ganz wahren
Linken, und wir haben die wahren Ökologen und Gurus, und die ganz
wahren Feministinnen haben wir natürlich auch. Hattet ihr wirklich nicht
mehr für das grüne Projekt beizusteuern? Ich denke, wenn ihr die
Debatten, die ihr uns aufnötigen könntet über die Staatsdiskussion, über
den Reformismus, über den Parlamentarismus, über die Gewaltfrage,
wenn ihr die uns nicht zumutet, dann ist das nicht beschieden, sondern
wieder mal sehr arrogant.
© 2015 Dr. Antje
Vollmer