Wiederaufbau des Stadtschlosses - Masterplan der Aufklärung
(Die Woche, 15.12.2000)
Die Woche: 15.12.2000
Wiederaufbau des Stadtschlosses - Masterplan der
Aufklärung
von Antje Vollmer
Was wird aus der Mitte Berlins? Welcher Sinn, welches Bauwerk und
welche Formensprache soll jene Leerstelle ausfüllen, wo einmal das
Stadtschloss der Hohenzollern stand und heute der Palast der Republik
hohläugig und ausgeweidet vor sich hindämmert? Städtebaulich wird es
auf absehbare Zeit keine gewichtigere und bedeutendere Frage zu
entscheiden geben. Genau genommen gibt es keine einzige Metropole in
Europa, die noch so eine gewichtige Frage in ihrem innersten Kern zu
klären hätte. Das mag auch ein Problem sein, aber vor allem ist es eine
grandiose Gestaltungs-Chance, von der mancher europäische
Städteplaner nur zu träumen wagt.
Die Entscheidung, die ansteht, ist eine politische. Was festzulegen ist,
kann weder allein städtebaulich, noch ästhetisch, noch
denkmalschützerisch, noch auf dem Hintergrund der Ost-West-
Sensibilitäten geklärt werden. Es war richtig, dass unmittelbar nach dem
Fall der Mauer keine Festlegung erfolgt ist. Sie wäre damals auch gar
nicht möglich gewesen, sie wäre als Ersatzhandlung für ganz andere
politische Gefechte missverstanden worden. Wenn damals über den
Palast der Republik gesprochen wurde, dann wurde immer über einen
unzerstörbaren Kern der DDR-Existenz verhandelt. Wenn damals über
das Schloss gesprochen wurde, dann musste immer noch einmal
symbolisch der preußische Militarismus niedergerungen werden. Dass
sich ideologische Positionskämpfe, aber auch Metamorphosen von
Identitäten immer gern vorahnend in Kulturdebatten ankündigen, ist die
Regel, nicht die Ausnahme.
Eine Dekade später tastet sich Berlin vorsichtig an seine Metropolenrolle
heran, und also nähert es sich auch einer Entscheidung über seine
historische Mitte. 10 Jahre später haben sich auch die Schlachtreihen
deutlich verändert. Den ganzen Palast der Republik will fast niemand
mehr retten, und wenn, dann sind seine nostalgischen Befürworter eher
im Westen als im Osten zu finden. Vom Stadtbild her verändert Berlin
täglich sein Gesicht. Die Museumsinsel reift zu einem solchen Traum
heran, dass beide Humboldts in ihrer Gruft trauern werden, nicht live
dabei zu sein. Der Reichstag ist zu einer regelrechten Pilgerstätte der
Demokratie geworden; hier sieht man, dass es doch eine gelungene
Symbiose von Tradition und genialer Moderne gibt. Nicht weit entfernt
davon, in der Auguststraße und um die Hackeschen Höfe, gibt es die
neue junge Avantgarde, für die die DDR in gleich astronomischer Ferne
liegt wie das Reich der Assyrer. Die klassische bis Gegenwarts-Moderne
in Musik, Film, Mediothek, Architektur und Konzeptkunst hat sich längst
den Potsdamer Platz erobert. Im Regierungsviertel und im Bankenviertel
haben alle namenhaften Architekten der Bonner Republik bildlich dafür
geworben, dass auch in Berlin Solidität und dezente Bürgerlichkeit ihren
Platz haben. Das ist jetzt genau der Augenblick, wo sich die Stadt endlich
zutrauen kann, sich ihrer großen Leerstelle, dem Nichts hinter der
Schlossbrücke, zuzuwenden.
Wer einmal zufuß die Linden entlang gewandert ist, weiß, dass niemand
vom Grundriss her eine bessere Lösung finden wird als jene Kubatur des
alten Schlossareals. Ganz abgesehen von jedem Inhalt und jeder
Nutzungsbestimmung braucht dieser Platz klare Kanten und ein
Gegenüber zum Alten Museum, eine Auffanglinie für den Lustgarten. Es
gibt Naturgesetze von Linienführungen und notwendigen Begrenzungen,
gegen die niemand ungestraft verstoßen darf.
Nicht zuletzt ist es die größte Sichtachse Berlins - vom Kaiserdamm über
die Bismarckstraße, den Ernst-Reuter-Platz über die Straße des 17. Juni,
den Stern, das Brandenburger Tor bis zu den Linden - die irgendwo ein
Ziel finden muss. Historisch endete diese Sichtachse in dem Monument,
von dem aus sich der Stadtkern Berlins einmal entwickelt hat, in dem
Schloss mit seiner Kuppelsilhouette mit dem Roten Rathaus im
Hintergrund.
Das Ensemble Unter den Linden war aber vor allem ein philosophisches
Programm, eine Musterlandschaft der Aufklärung. Im engeren Kreis der
Spree-Insel band sich das Zentrum der politischen Macht, das Schloss,
ein in die anderen großen bestimmenden kulturellen Mächte. Es
akzeptierte damit zugleich eine Beschränkung, Begrenzung und innere
Leitlinie für die politische Macht. Den dominierenden Platz unter diesen
Mächten besetzte die Kunst mit dem großen Areal der Museen. Auf der
rechten Seite beherrschte der Dom den Lustgarten, auf der linken das
Zeughaus und die neue Wache als Erinnerung an die prägenden Kräfte
jener preußischen Reformen, die die Befreiung des Landes ermöglicht
hatten. Die politische Macht ist also eine gebundene, eine in die großen
Strömungen der Aufklärung eingebundene Macht - das ist die Botschaft
dieses Platzes.
Dieses philosophisch-aufklärerische Programm wird unterstrichen durch
die anderen großen Gebäude unter den Linden in ihrer traditionellen
Nutzung: die Universität, die Bibliothek, die Oper, die Galerie, das
Metropoltheater, die europäischen Botschaften, das Kulturministerium,
nicht weit davon das Schauspielhaus und die Kirchen der
unterschiedlichen Glaubensrichtungen, entsprechend den Richtlinien der
religiösen Toleranz, dass jeder nach seiner Façon selig werden möge.
Genaugenommen war das Ensemble unter den Linden ein Masterplan der
Aufklärung und des Humanismus, dem alle europäischen Metropolen des
18. und frühen 19. Jahrhunderts nachzueifern versuchten, nicht nur in der
Ästhetik, sondern auch im politischen Grundmuster. Wer sich heute, im
Jahrhundert der europäischen Einigung, diesem leeren Platz hinter der
Schlossbrücke nähert, der kann diese Traditionslinie nicht außer Acht
lassen. Man müsste schon historischer, philosophischer und politischer
Ignorant sein, um nicht nach einer heutigen Entsprechung für dieses
Ensemble zu suchen - in Form und Inhalt.
Die Berliner wollen ihr Stadtschloss wiederhaben. Früher oder später
werden sie es auch bekommen. Das Schloss mit seinen schönen
Innenhöfen hat eine große Rolle im Leben der Berliner gespielt: Hier
nahm alles seinen Anfang, hier entwickelte Berlin sich von einer
provinziellen Sandbüchse zu einer der Zentralen im Gleichgewicht der
europäischen Großmächte. Hier nahmen die Reformen ihren Ausgang, die
die Energien für diesen märchenhaften Aufstieg mobilisierten. Hier
verspielte ein zögernder Monarch das Angebot der Paulskirchen-
Demokratie, hier musste er schließlich doch seinen Hut ziehen vor den
Gefallenen der Märzrevolution. Hier rief Liebknecht die Räte-Republik aus.
Hier fand nach dem 2. Weltkrieg die erste Ausstellung der lange
verpönten modernen Kunst statt. Hier triumphierte die Barbarei der
sozialistischen Zerstörung über die Reste des Feudalismus in Form der
armen, handbehauenen Steine, Portale und Treppen; und hier
marschierten die Kampftruppen zur Parade des 1. Mai auf. Hier war es
immer kalt und windig, wenn sich die Liebespaare zwischen Ost und West
trafen. Hier konnte man die Musik und die Redefetzen gerade noch hören,
die vom Platz vor dem Reichstag aus über das Brandenburger Tor geweht
wurden.
Eine Metropole, die darauf verzichten würde, einen solchen Platz wieder
aufzubauen, sollte sich lieber nicht Metropole nennen. Eine Hauptstadt,
die eine solche städtebauliche Gestaltungsaufgabe an ein Sammelsurium
von Investoren vergeben und daraus einen multifunktionalen
Bahnhofsvorplatz machen würde, die hätte ihren eigenen Untergang
schon besiegelt.
Berlin wird diese Auflösung ins gestalterische Nirwana doch nicht
vollziehen. Das Schloss wird wieder aufgebaut werden. Es wird lange
dauern, es wird teuer sein, es wird viel Streit um die konkrete Form und
die Nutzung geben. Das macht nichts. Es wird Zeit, dass dieses Land
nicht immer vor seinen Traditionen davonläuft und dass es nicht jedem
ästhetischen und historischen Ressentiment nachgibt. Und wenn wir 20
Jahre lang eine Bauhütte auf dem Schlossplatz haben werden, die mit
handwerklicher Meisterschaft auch einen Teil des alten Schlosses, Stein
für Stein, wieder aufbaut, dann wird wahrscheinlich dieses die allergrößte
Besucher-Attraktion Berlins sein. Das wird eine Stadt, die sich in
berechenbarem Maß wieder rekonstruiert. Das beste Wissen über die
innere Kraft und die Tradition einer Stadt verschafft man sich nicht im
© 2015 Dr. Antje
Vollmer