Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova (SZ 19.06.1999)
Erschienen in der SZ am 19.06.1999
Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova: Die Zerstörung
einer Identität
Vom Westen verraten, von den Serben mißbraucht
Dem "Gandhi des Balkan" wurde übel mitgespielt - dennoch muß immer noch
mit ihm gerechnet werden / Von Antje Vollmer
Merkwürdig. Da war doch noch was. Da war doch noch jemand, der über
ein ganzes Jahrzehnt eine zentrale Figur im Kosovo gewesen war. Er fehlte
auf keinem Bild, bei keiner Demonstration, und jetzt scheint er wie vom
Erdboden verschluckt: Ibrahim Rugova, der Gandhi des Balkans, der
Führer des gewaltfreien Kampfes der Kosovo-Albaner.
Der Krieg hat ihn nicht gebraucht, und der Frieden braucht ihn offenbar
auch nicht. Schon in Rambouillet spielte Ibrahim Rugova nur noch eine
schattenhafte Rolle. Er habe meistens geschwiegen, wird berichtet. Länger
als alle anderen führenden Kosovaren blieb er nach Ausbruch der Kämpfe
und der Luftangriffe in Pristina, und das mit seiner gesamten Familie.
Ansehen in der westlichen Welt hat ihm das nicht verschafft. Die Politiker
verbreiten, er sei irgendwie gebrochen, nicht ganz Herr seiner Emotionen,
registriere nur bedingt die aktuelle Lage. Was ist wirklich los und was
geschah mit Ibrahim Rugova?
Es gab Irritationen und es gibt Fakten: Als persönliche Geisel von Milosevic
wurde Rugova wochenlang von schwerbewaffneter Serben-Miliz
vollkommen isoliert: "Ich bin ein Präsident ohne Volk." Er wurde zu einem
gespenstischen Treffen nach Belgrad gefahren, über das ein manipulierter
Bildermix - aktuelle Bilder, gekoppelt mit Bildern von Treffen, die Jahre
zurücklagen - verbreitet wurde. Es gibt auch mediale Kriegsverbrechen,
und die mißbräuchliche Vorführung einer Geisel im Fernsehen gehört dazu.
So begann die Zerstörung einer klaren Identität.
Anfang Mai konnte Rugova endlich das Kosovo verlassen und über Belgrad
nach Rom reisen. Die Freilassung war von Monsignore Paglia vorbereitet
worden, dem Belgrader Vertreter der katholischen Laienorganisation Sant
Egidio. Anders als zu erwarten war, gab Rugova in Rom zunächst keine
Pressekonferenzen und aktuellen Interviews. Das gehörte, sonderbar
genug, offenbar zu den Bedingungen der Freilassung. Kurze Zeit später
erschien Rugova mit seiner gesamten Familie in Deutschland und erklärte,
bleiben zu wollen. Er absolvierte in kurzer Zeit Presse- und
Informationstermine beim Bundeskanzler, beim Außenminister und bei
anderen wichtigen Nato-Vertretern. Ebenso unvermutet wie er aufgetaucht
war, verabschiedete er sich dann wieder aus Deutschland. Das
Außenministerium erklärte, es habe unterschiedliche Einschätzungen
gegeben, wer die Mietkosten für das Haus übernehmen solle, in dem
Rugova mit seiner 16-köpfigen Familie untergebracht werden sollte. Die
Demokratische Liga des Kosovo (LDK) sagte, es habe Differenzen
gegeben, ob Rugova durch die deutsche Regierung Sicherheitsbewachung
erhält. Dies sei in Bonn abgelehnt worden mit dem polizeilichen Hinweis:
"Aus unseren Erkenntnissen resultiert, daß Sie derzeit nicht gefährdet sind.
"Eine erstaunliche Auskunft, wenn man das Spannungsgeflecht reflektiert,
in dem sich eine Person wie Rugova an jedem Ort der Welt bewegt.
Ergebnis jedenfalls war, daß Rugova inklusive Familie Deutschland wieder
Richtung Rom verließ, wo ihm ein Haus und auch die entsprechende
Sicherheitsbewachung angeboten wurde.
Rugova ist die Zentralfigur des gewaltfreien Kampfes der Kosovaren, deren
Freiheitswille eine lange Vorgeschichte hat. Schon 1968 und 1971/72 gab
es große Demonstrationen, in denen eine "Republik Kosova" gefordert
wurde. Ein Ergebnis war die Verfassung von 1974, in der der gewitzte Tito
dem Kosovo wenigstens ein Autonomiestatut verschaffte. Immer wieder in
den achtziger Jahren tauchte die Forderung nach dem Status einer
Republik auf, vergleichbar dem damaligen Status Bosniens und
Sloweniens. Das war einer der Gründe für den berühmten Auftritt
Milosevics im Amselfeld im Jahre 1987, bei dem er voll Inbrunst den
Serben zurief: "Niemand darf Euch schlagen." Die Kosovaren antworteten
mit Bergarbeiterstreiks und Universitätsbesetzungen, die meisten von ihnen
mit Tito-Bildern in den Händen. Als 1989 das Autonomiestatut abgeschafft
wurde, verschärfte sich die Situation dramatisch. Hunderttausende
marschierten nach Pristina, Bergarbeiter veranstalteten Hungerstreiks.
Professoren wurden entlassen, Studenten von den Universitäten
ausgesperrt.
Im Dezember 1989 gründete Rugova mit seinen engsten Vertrauten die
LDK. Am 2. Juli 1990 tagte das weitgehend kommunistische Parlament von
Kosova und erklärte das autonome Gebiet zur "Republik Kosova". Drei
Tage später löste das serbische Parlament wiederum das Parlament der
Kosovo-Albaner auf. Albanische Zeitungen und das albanische Fernsehen
wurden verboten. Am 7. Juli 1990 trafen sich wiederum die Mitglieder des
Kosovo-Parlamentes und erklärten Kosova zu einem selbständigen Staat.
Sie verabschiedeten eine Verfassung, die meisten Parlamentarier begaben
sich daraufhin ins Exil. Rugova blieb und bildete einen koordinierenden Rat
aller politischen Parteien, der ein Jahr später in einer Volksabstimmung
angenommen wurde. Die LDK gewann 1992 die Parlaments- und
Präsidentenwahlen im Untergrund; Bujar Bukoshi bildete eine Regierung
und ging mit vier Ministern ins Exil nach Bonn. Die Einschätzung der
Serben, eine Figur wie Rugova könne auf Dauer bei den Albanern keine
Unterstützung finden, erwies sich als falsch. Rugova wurde mit
überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt, ein Vorgang der sich
1998 mit fast 90 Prozent der Stimmen wiederholte.
Was ist die Besonderheit dieses Mannes, und warum ließen die Serben ihn
überhaupt so lange im Kosovo agieren? "Wir waren das Armenhaus. Wir
Kosovaren waren nicht gewohnt, daß jemand etwas für uns tut", sagt eine
Sprecherin der LDK. Rugova, dessen Vater bereits als Nationalist und
sogenannter Partisanengegner ermordet wurde, eignet sich nicht zum
Volkstribun, bei den Kosovaren aber gilt er als einer, der sehr mutig war in
Zeiten, als keiner sonst es wagte, etwas zu sagen. Rugova war immer
umgeben von einem starken Kreis von Freunden, einer intellektuellen Elite.
Während er selber schüchtern und zurückhaltend auftritt und gelegentlich
etwas über den Wolken schwebend erscheint, verdankt er insbesondere
seinem Mitstreiter Professor Agani das organisatorische und politische
Konzept der LDK. Agani war Mitverhandler in Rambouillet und wurde in den
Tagen in Pristina ermordet, in denen Rugova das Land verließ.
Im Gegensatz zu der milden, bedächtigen Art, in der er aufzutreten pflegt,
gilt Rugova als außerordentlich stur im Festhalten an den einmal als richtig
erkannten Zielen. Er wollte ein Klima des Vertrauens schaffen, er wollte die
Jugend des Balkans endgültig dem Teufelskreis des Hasses entziehen. Er
besitzt eine große Fähigkeit, Mitstreiter zu motivieren. Er ist ohne Zweifel
charismatisch, beschäftigt und irritiert oft Phantasie und Verständnis der
Kosovaren: Was meint er mit dem, was er sagt? Die Serben ließen ihn
gewähren, die konservative LDK galt als ungefährlich für den serbischen
Staat. Das Ausland zeigte wenig Interesse an diesem eigenartigen "Gandhi
des Balkans". Als Rugova 1990 zum ersten Mal in Bonn war, gab es für ihn
nicht einen einzigen Gesprächspartner im Außenministerium.
Während des Dayton-Prozesses, versuchte Rugova, die westlichen
Staaten für die Sache der Kosovo-Albaner zu gewinnen. Beim
Friedensschluß von Dayton 1995 war ihm von den Amerikanern
versprochen worden: "Ihr seid das nächste Thema auf der Agenda der
westlichen Welt" - ein unerfülltes Versprechen. Es ist diese Erfolglosigkeit,
die einen Teil der späteren Gewalt im Kosovo erklärt. Nach Dayton
verstärkten sich die Repressalien der Serben gegenüber den Kosovaren.
Der Lebensstandard der Bevölkerung sank und sank, die Hoffnung auf eine
gewaltfreie Lösung schwand. Auf Seiten der politischen Linken, zerstreut in
den Dörfern, formierte sich eine neue, nunmehr gewaltgeneigte Bewegung:
die UCK. Es gab Attentate an serbischen Polizisten, einem serbischen
Rektor und an vermuteten serbischen Kollaborateuren. Den Kern der sich
formierenden UCK bildeten Dorf-Gangs unter der Führung kleiner warlords.
Im Februar 1998 reagierte serbische Polizei und Sonderpolizei mit den
Massakern in Drenica. Zwei Dörfer wurden ausgelöscht. Damit begann der
systematische serbische Terror gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo.
Bis heute ist nicht klar, was Richard Holbrooke, den amerikanischen
Unterhändler mit gelegentlich waghalsigen Manövern, dazu bewog,
offizieller Gesprächspartner der UCK zu werden. Noch weniger klar ist,
warum Wolfgang Ischinger vom Auswärtigen Amt zu dieser Zeit Gespräche
mit der UCK führte. Zweifellos haben diese Gespräche mit den westlichen
Unterhändlern das Gewicht der UCK erheblich vergrößert, die sich im
wesentlichen aus jungen, unerfahrenen Heißspornen zusammensetzte und
bis dahin nur von den albanischen Sozialisten unterstützt wurde. Daß ein "
Gleichgewicht zwischen den Albanern" hergestellt werden sollte, scheint
eine kaum ausreichende Begründung dafür zu sein, sich mit Terroristen an
einen Tisch zu setzen. Vielmehr wurde Rugova im Frühjahr 1998 von der
westlichen Seite fallengelassen, weil er sich als politikfremd und
ungewöhnlich kompromißlos erwies. Rugova sagte: "Ein Autonomiestatut
ist nach Dayton für das Kosovo nicht mehr möglich. " Ziel der westlichen
Verhandlungsstrategie aber war, den einheitlichen Staatenverband
Jugoslawiens zu erhalten.
In Rambouillet hatten die Unterhändler Christopher Hill und Wolfgang Petric
neben fünf Vertretern der LDK weitere fünf Vertreter der UCK mit dem
Kommandanten Thaci eingeladen und außerdem noch einmal fünf Vertreter
einer linken Fraktion der LDK, der LBD. Rugova mußte dies als
abgekartetes Spiel erscheinen, was einen Teil seiner Stummheit erklärt. Er,
der 1991 schon eine UN- oder Nato-Präsenz gefordert hatte, und zwar um
das Kosovo weiter waffenfrei zu halten, sah nach den Verhandlungen von
Paris keine andere Lösung mehr als einen Nato-Einsatz, allerdings als
wirkliche Schutzmacht am Boden wie in der Luft. Währenddessen flog
Madeleine Albright einen leibhaftigen Nato-General ein, der die
Commandantes der UCK zur Unterschrift bewegen sollte. Es war skurril,
die amerikanische Außenministerin vor der Tür auf eine Antwort warten zu
sehen!
Die westlichen Unterhändler von Rambouillet ignorierten schlichtweg, daß
Rugova der einzige war, der annähernd eine legale Basis hatte, für alle
Kosovo-Albaner zu sprechen. Der UCK-Führer Thaci war - außer durch
Waffen - allein durch die Unterhändler Hill und Petric, durch Holbrooke und
Albright legitimiert. Die Nato nahm sich die UCK faktisch als "Bodentruppe".
An Rugova scheiden sich die Geister. Er ist ein Typ, der erstaunlich viel
zuläßt, der manchmal nicht von dieser Welt erscheint. Gleichzeitig sorgte
sein Einfluß für zehn Jahre Gewaltfreiheit unter den Albanern, die
traditionell alles andere als gewaltfrei sind. Seine Begründung war: Wir
haben keine andere Chance auf Selbstverteidigung gegenüber Milosevic,
wenn wir nicht selbst unterhalb der Schwelle der serbischen
Gewaltbereitschaft agieren. Rugova scheint frei von jeglicher Angst
gegenüber den Serben. Bei aller Schüchternheit ist er sich seiner Stellung
unter den Albanern absolut sicher. Selbst die jungen Leute sagen: "Es lebe
die UCK, Rugova soll ihr Kommandant sein."
Es scheint so, als wäre die westliche Einschätzung doch zu voreilig
gewesen, mit Rugova sei nicht mehr zu rechnen. Trotz aller Irritationen ist
er immer noch der einzige, der sich als potentieller Führer einer breiten
Masse von Albanern herausgebildet hat. Wenn es eine eigenständige
politische Entwicklung des Kosovo geben soll, wird sie nur mit Rugova
gelingen. Wenn es aber auf eine Teilung des Kosovo und einen Anschluß
an Albanien hinausläuft, wird die UCK Protagonistin dieses
Zusammenschlusses sein. Will der Westen diese Perspektive? Es könnte
sich doch herausstellen, daß das Fallenlassen von Rugova durch die
westliche Welt eines der "dirty secrets" der Nato-Strategie der letzten
Wochen gewesen ist.
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