Antje Vollmer über Helmut Kohl Auftrag noch nicht erledigt Man wäre gern bei jenem privaten Treffen dabei gewesen, als es Helmut Kohl am Ufer eines Bergbachs im Kaukasus gelang, das volle Vertrauen von Michail Gorbatschow zu gewinnen. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, als alle vorbereiteten diplomatischen Feinabstimmungen und Vorsichtsmaßnahmen außer acht gelassen wurden. Die Haltung der westlichen Bündnispartner war bis dahin ziemlich klar: In offiziellen Verlautbarungen unterstützten zwar alle die Pläne einer deutschen Wiedervereinigung – Maggie Thatcher und Francois Mitterand mit unverkennbarer Reserve, George Bush mit dem Blick auf die amerikanischen Interessen im Systemkonflikt des Kalten Krieges – aber alle waren sich sicher: die Sowjetunion würde definitiv ein unverrückbares Nein formulieren. Damit wäre die Ablehnung für alle garantiert. Sämtliche Berater Gorbatschows im Kreml hatten zu äußerster Vorsicht geraten. Wenigstens solle man auf Zeit spielen, um nicht im eigenen Bündnis die Reformprozesse mit unabsehbaren Folgen zu sehr zu beschleunigen. Gorbatschow aber hat Helmut Kohl geglaubt und alles auf diese Karte gesetzt. Er hatte die Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses Europa und wollte erreichen, dass darin auch Platz für eine reformierte Sowjetunion wäre. Er hat sich damals nicht getäuscht. Auch Kohls Vision zielte auf ein vereintes, allerdings demokratisches Europa, von Lissabon bis Wladiwostok. Beide wußten: Nur das wird auf Dauer die Kriege in Europa verhindern. Kohl vermittelte Gorbatschow die Gewissheit, für dieses Ziel wäre ein für die Wiedervereinigung dankbares Deutschland der beste Garant. Auch das war faktisch so etwas wie ein Ehrenwort: Ihr könnt Euch auf Deutschland verlassen bei Eurem Weg nach Europa. In der Charta von Paris ist es ausformuliert. Michail Gorbatschow hat Jahre später mit tiefer Verbitterung über die Politik des Westens nach 1990 gegenüber Rußland gesprochen, den Menschen Helmut Kohl hat er dabei ausgenommen. Helmut Kohl aber war – ähnlich wie Hans Dietrich Genscher – am Ende seines Lebens tief beunruhigt , dass seine Nachfolger sein damaliges Versprechen nicht eingehalten haben. Noch in seinen letzten Interviews mahnte er einen fairen Umgang mit Russland an und die Weiterarbeit am Konzept der gemeinsamen Sicherheitsarchitektur Europas. Der von ihm selbst gewählte Ort seiner offiziellen Trauerfeier in Straßburg nennt einen unerledigten Auftrag: Kümmert Euch um den europäischen Frieden auf dem ganzen Kontinent!