Beitrag zur Schloss-Debatte im Deutschen Bundestag (04.07.2002)
Auszug aus dem Plenarprotokoll 14/248
Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
248. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 4. Juli 2002
Tagesordnungspunkt 6:
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Günter Rexrodt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wiederaufbau des Berliner
Stadtschlosses
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Dirk Fischer (Hamburg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wiederaufbau des Berliner
Stadtschlosses
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Historische Mitte Berlin
zu dem Antrag der Abgeordneten Eckhardt Barthel (Berlin), Hans-Werner Bertl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Empfehlungen der Internationalen
Expertenkommission "Historische Mitte Berlin"
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wiederherstellung
der Historischen Mitte Berlins
zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau, Dr. Heinrich Fink, Roland Claus und
der Fraktion der PDS: Arbeitsweise der Expertenkommission Historische Mitte
zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Die Mitte der Spreeinsel als offenes Bürgerforum
gestalten Empfehlungen der Expertenkommission öffentlich diskutieren
(Drucksachen 14/1752, 14/3673, 14/9023, 14/9222, 14/9243, 14/4402, 14/9244,
14/9660)
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auch mich erinnert in dieser Debatte manches an die Diskussion um
die Kuppel und um die Frage "Berlin oder Bonn". Ich spreche für die Alternative A.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
CDU/CSU)-
Erst mal zuhören!
Mit am wichtigsten in dieser Debatte ist, dass wir jetzt hoffentlich wirklich
frei entscheiden können. Man hatte manchmal den Eindruck, als ob man
sofort verdächtigt wird, ein Nostalgiker, ein Anhänger des preußischen
Militarismus, des wilhelminischen Kitsches oder eines Kitschschlosses
zu sein,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Monarchist! -
Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Oder der Ideenfreiheit!)
wenn man es wagte, an die Möglichkeit einer Rekonstruktion des alten
Schlosses zu denken. Ich begrüße, dass das weggefallen ist und dass wir
wirklich frei sind zu wählen.
Es gibt keine naturgegebene Identität und auch keine naturgegebene
Differenz zwischen architektonischen Baustilen und der Demokratie.
Missbrauch, auch Missbrauch von politischer Macht, kann in jeder
ästhetischen Form von Architektur passieren. Das heißt, es gibt nicht, wie
oft suggeriert worden ist, einen direkten Zusammenhang zwischen dem
Baustil der Moderne und der Demokratie. Demokratie kann in jedem
Gebäude stattfinden. So passiert es auch in vielen Demokratien unserer
europäischen Nachbarn.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In der Kunst gilt, was gut ist. In der Kunst gilt, was Qualität ist. Das
Berliner Schloss war allererste Qualität. Die Baumeister Schlüter,
Eosander und später Erdmannsdorff waren allererste Baumeister ihrer
Zeit. Wir hängen also keinem nostalgischen Bild an, wenn wir uns für den
Wiederaufbau einsetzen, sondern wir versuchen, etwas zu rekonstruieren,
was von ganz großer Bedeutung war.
(Beifall des Abg. Werner Schulz (Leipzig) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Man begreift das sehr schnell, wenn man sich den Stadtraum an dieser
Stelle von oben anguckt. Man sieht dann nämlich, dass das historische
Berlin um dieses Schloss herum konstruiert worden ist. Das heißt, dass
dieser Mitte im Moment wirklich das Herz fehlt. Man sieht auch, dass
alles, was darum herumgebaut worden ist, auf das Schloss zu gebaut
worden ist. Zu Recht ist gesagt worden: Das Alte Museum hätte nicht
diese großen Säulen, wenn nicht das Gegengewicht zum Schloss
notwendig gewesen wäre.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]:
Sehr richtig!)
Auch das Stadtbild braucht an dieser Stelle ein Gegengewicht. Notwendig
ist die Wiederherstellung eines Zentrums, das ein dynamisches Zentrum
war.
Zu den Argumenten der Kritiker. Sie fragen: Hat denn die Moderne bei
euch keine Chance? Schon von vielen ist gesagt worden: Wie in keiner
anderen europäischen Metropole hat die Moderne in der Stadt Berlin ihre
Chancen gehabt. Wo hat es das denn sonst gegeben, dass man einen
großen historischen Metropolenplatz wie den Potsdamer Platz neu und
ausschließlich modern bauen konnte? Welche Chancen haben wir der
Moderne hier im Regierungsviertel gegeben? Es wird Chancen am
Alexanderplatz geben. Die Moderne hat große Architekten angezogen. Bei
manchen Gebäuden - das sage ich ganz ehrlich - haben wir auch die
Grenzen gesehen. Auch die Moderne ist in ihrer Gestaltungskraft nicht
omnipotent.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Im Unterschied zu den großen europäischen Metropolen Rom, London,
Paris, Prag und Wien fehlt in Berlin ein zentrales Moment der
geschlossenen architektonischen Tradition. Wir haben einzelne Momente
der Tradition, aber wir haben kein geschlossenes Ensemble. Es geht
darum, ob wir ein Ensemble der Tradition wiederherstellen dürfen.
Jetzt sagen die Kritiker: Man muss sich doch zu den Brüchen bekennen.
Ich finde, es gibt in dieser Stadt, die so viele Brüche hat,
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]:
Genau!)
geradezu einen Kult der offenen Wunde. Das ist weder realpolitisch noch
modern. Ich halte den Kult der städtebaulichen Wunde selbst für ein sehr
romantisches Motiv. Es ist wie bei Parsifal: Zeige deine Wunde!
Dürfen wir überhaupt rekonstruieren? Rekonstruktion ist keine
ästhetische Lüge. Rekonstruktion heißt auch nicht, dass man politische
Restauration will. Wer das behauptet, der interpretiert politische
Bedeutungen in ästhetische Entscheidungen. Rekonstruieren ist auch
kein Sich-Outen als preußischer Militarist. Ich habe mich immer gefragt:
Warum gilt Rekonstruieren eigentlich nicht als eine Möglichkeit der
Moderne? Wenn man rekonstruiert - genau das kann man bei der
Frauenkirche in Dresden sehen -, dann erhält man vor allen Dingen eines:
ganz großen Respekt vor der Meisterlichkeit unserer Vorfahren.
(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
In Dresden sehen wir - das begreift eine ganze Stadt, die diese Mitte
rekonstruiert -, dass wir der damaligen Zeit heutzutage in vielem nicht so
viel voraus sind und wir in manchem sogar hinter dem zurückliegen, was
man früher an ästhetischer, künstlerischer Qualität und an technischer
Meisterlichkeit hervorgebracht hat.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD,
der CDU/CSU und der FDP)
Dies dürfen wir uns auch heute noch in Erinnerung rufen.
Ich komme auf die politische Botschaft zu sprechen. Das Ensemble Unter
den Linden - es wäre das einzige historisch Zusammenhängende, wenn
wir es rekonstruieren würden - sagte inhaltlich Folgendes aus:
In der Mitte der Ort für die politische Macht.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die absolute
Macht!)
Darum herum - eingebunden - war die Museumsinsel, waren die
Universitäten, waren die Opern, war die Neue Wache - sie stand damals
für Militärreform und nicht für Militarismus - und waren die Kirchen als ein
Ort der Toleranz. Das heißt, dieses Ensemble war eine politische
Landschaft, es war Ausdruck einer großen europäischen Kultur der
Toleranz, der Aufklärung und der Humanität.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD,
der CDU/CSU und der FDP)
Ich glaube, dass es erlaubt ist, sich zu dieser Tradition zu bekennen. Ich
glaube sogar, dass es vor dem Hintergrund des Europa, das wir bauen
werden, wichtig ist, an diese Tradition zu erinnern. Wenn so viele Berliner
den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses wollen,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind die
Auswärtigen, die das wollen!)
dann ist es auch diesem Parlament gestattet, sich dazu zu bekennen.
Danke.
© 2015 Dr. Antje
Vollmer