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  Wie aus einem Rücktritt Kraft erwächst - für die 
  Frauen und für den Protestantismus
  Musste Margot Käßmann zurücktreten? Nein, musste sie nicht. 
  Machtpolitisch wollte niemand ihren Rücktritt, trotz manchen politischen 
  Streits in der Vergangenheit. Denn jedem im keineswegs alkoholfreien 
  Berlin war klar:
  Wenn diese Bischöfin wegen dreier Gläser Weißwein gehen muss, dann 
  schleudert es bald jeden aus seinem Kanzler-, Minister- oder 
  Chefredakteurstuhl. Auch kirchenpolitisch stellte sich der Rat der EKD 
  in einer einzigen Telefonkonferenz blitzschnell hinter seine Vorsitzende, 
  wohl wissend, welchen Verlust für alle es bedeuten würde, diese 
  unglaublich populäre neue Stimme des deutschen Protestantismus zu 
  verlieren. Aus Glaubwürdigkeitsgründen gegenüber der Basis musste 
  sie schon gar nicht gehen. Kaum war die Nachricht über den Äther 
  getickert, liefen längst alle Drähte heiß, um um sie zu sein wie ein Wald, 
  sie zu schützen. Sie war noch gar nicht weg, da machten sich schon 
  Trauer und Entsetzen breit, wie es sein würde, wenn sie fehlt. Noch nicht 
  einmal wegen der zahlreichen Kritiker ihrer politischen Positionen und 
  ihres ganz mit der eigenen Authentizität verbundenen 
  Amtsverständnisses musste sie zurücktreten. Zwar waren die Kübel von 
  Häme heftig, die nun in das Altherrengewäsch vieler Medienkommentare 
  flossen ("Lalleluja", "Sünderin", "sturzbetrunken", "Wasser predigen, 
  Wein trinken, Gas geben").
  Doch konnten die kundigen Deuter solcher Jagdprozesse längst 
  zwischen den Zeilen lesen: Die Herren - und einige Damen - fühlten sich 
  so frei im Zugriff auf das edle Wild, weil sie sicher waren, das Objekt 
  ihrer Begierde würde ihnen doch erhalten bleiben.
  Auch wenn sie es drei Tage und drei Nächte überschlafen hätte: Aus all 
  diesen Gründen hätte Margot Käßmann nicht gehen müssen, das wäre 
  zu überleben gewesen und hätte sich, wie üblich, gegeben, wenn eine 
  andere Heilige oder Dienstwagenfahrerin für das erneute Fest des ach 
  so beliebten öffentlichen Beichtinstituts in Sicht gekommen wäre.
  Gehen musste Margot Käßmann wegen der falschen Freunde, 
  Freundinnen und Frauenretter, die sich allzu gern an ihre Seite gestellt 
  hätten, um sich in ihrem eigenartigen charismatischen Glanz zu 
  spiegeln:
  Da war der Bild- Wagner, der der "zarten, einsamen Frau", die sich 
  "glücklich trinkt", mit versoffener Geste einen Ehrenplatz anbot, neben 
  sich, in der Gosse: "Schreien Sie sich Ihr Leben als Frau heraus!"Da war 
  Alice Schwarzer, früher eine Feministin von Format, die heute Hüfte an 
  Hüfte mit der Machtverwalterin Angela Merkel, der 
  Medienmachtbesitzerin Friede Springer und Liz Mohn Kungelkränzchen 
  organisiert, bei denen es längst schon nicht mehr um irgendein 
  inhaltliches Ziel, sondern nur noch um die Verteidigung oder Eroberung 
  von Vorstandsetagen geht - zu welchem Zweck auch immer. Sie, das 
  frühere Werbemodell für Bild- Lektüre, fand den gouvernantenhaftesten 
  Kanzelton: Der Rücktritt sei "falsch für uns Frauen, falsch für die 
  fortschrittlichen Protestanten in Deutschland, und falsch für sie selbst". 
  Ach Alice, auch ganz oben kann man ziemlich danebenliegen.
  Nicht zu vergessen die Wolke der vielen besorgten Ratgeber voller 
  Zwischen- und Untertöne: Du kannst bleiben! Bleibe doch bitte! Aber gib 
  endlich zu: So wie du dein Amt verkörperst, das geht einfach nicht. Ehre 
  es, indem du aufgibst, es mit deiner eigenen Besonderheit untrennbar 
  zu verbinden.
  Nein, Margot Käßmann konnte nicht im Amt bleiben, wenn sie dieselbe 
  bleiben wollte, die sie vor diesem fatalen Samstagabend war. Was immer 
  sie in Zukunft gesagt hätte: zum Krieg in Afghanistan, zum Skandal der 
  Armut in Deutschland, zur Freiheit eines Christenmenschen - immer 
  wäre da dieses wissende, leicht zynische Lächeln um die Mundwinkel 
  ihrer professionellen Zuhörer gewesen: Nun mal halblang, Fräulein 
  Schnapsdrossel!Herunter vom Sockel, hier ist die breite Straße!
  Das hat sie gespürt. Das hat sie mit ihrem blitzgescheiten Kopf und mit 
  ihrem sensiblen Herzen messerscharf erkannt. Und deswegen war es 
  geradezu ein Glück, ihr dabei zuzusehen, wie sie in einem einzigen 
  Moment, in drei kurzen Minuten, mitten im Blitzlichtgewitter heiter und 
  entschlossen all diese Fesseln, Fallstricke, falschen Verbrüderungen 
  und Verschwesterungen abschüttelte, um sich selbst treu zu bleiben 
  und ihrem Amt zu dienen. Sie war frei.
  Sie war nicht nur frei, sondern auch - verblüffend treffsicher - ein 
  aufscheinendes gültiges Bild einer evangelischen Moderne. Lange 
  waren Protestanten mit ihrem bildarmen Wort- und Glaubensverständnis 
  rettungslos ins Hintertreffen geraten im Vergleich zum weltweiten 
  Medien-Popstar Dalai Lama oder zu den auch sehr bildmächtigen 
  römischen Mysterien- Ritualen des Papstes mit den roten Schuhen. Das 
  aufmerksame, offene, angespannte, aber völlig ungebrochene Gesicht 
  einer Margot Käßmann konnte da in aller Schlichtheit und Intensität 
  mithalten: Allein aus Glauben, niemandem untertan! So kurz die Zeit war, 
  es hat gereicht, ein Bild zu setzen, das man nicht vergisst.
  "Wird es ein Comeback für Margot Käßmann geben?", fragte besorgt ein 
  Chefredakteur.
  Diese drei Minuten waren das Comeback der Margot Käßmann. Für das, 
  was sie sagen und ausdrücken will, braucht sie keine Bischofsämter. 
  Schon gar nicht im Protestantismus, für den alle kreativen Impulse und 
  Reformationen aus dem Gemeindegedanken hervorgegangen sind und 
  der noch nie Amtsträger brauchte, denen man wahlweise Ringe, Hände, 
  Stola oder Füße küssen muss.
  Sie ist schon gerettet. Sie hat es selbst getan. Alle werden in Zukunft 
  Margot Käßmann hören wollen, die Tausende auf den Kirchentagen - 
  besonders die Frauen -, sogar die Politiker und Medienleute.
  Jede Kanzel steht ihr offen, jede Zeitung wird ihre Artikel drucken. Sie 
  muss nie wieder Erstmeldungen an die Springerpresse geben. Sie muss 
  sich nie wieder in Talkshows intime Fragen stellen lassen, die sie nicht 
  beantworten will. Sie erfährt eine Zuneigung, die den meisten 
  Medienleuten ein Rätsel ist und bleiben wird. Die Erfahrung dieser 
  existenziellen Bedrohung wird sie ruhiger, gelassener und auf das 
  Wesentliche konzentrierter machen.
  Wie man es auch dreht und wendet: Die Sache, die so albtraumartig und 
 
 
  © 2013 Dr. Antje 
  Vollmer