Laudatio auf Antje Vollmer bei der Verleihung des
“Dorothee-Fliess-Preises für Wiederstandsforschung”
für ihr Buch “Doppelleben - Heinrich und Gottliebe
von Lehndorf
im Wiederstand gegen Hitler und Ribbentrop,
Frankfurt 2010,
am 23.Februar 2013 in Königswinter
von Dr.Christoph Studt
Liebe Frau Vollmer, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Man spricht gerne von einer Ersten, einer Zweiten Reihe, ja sogar von eienr
Dritten Reihe, wenn es um den “Rang”, die Bedeutung des Wieserstandes
geht, den ein Mensch gegen das Unrechtsregime des “Dritten Reiches”
gewagt hat. Es ist jedoch zu fragen, ob das nicht eine historische, eine ggf.
sogar wissenschaftliche Form der Mißachtung, des Herabschauens, des
Zensurenverteilens ist, die uns Nachgeborenen schwerlich zusteht. Oft ist es
Ausdruck einer ”Gnadenlosigkeit der späten Geburt”, wenn, zugespitzt
formuliert, aus dem gepolsterten Ohrensessel mit einem guten Glas Rotwein
in der Hand, über den Stellenwert menschlichen Handelns unter den
Bedingungen eines totalitären Regimes Statements abgegeben werden.
Müssen wir nicht vielmehr dankbar sein, in einer so “ langweiligen” Zeit zu
leben zu dürfen, die uns voraussichtlich niemals vor eine Entscheidung von
der existentiellen Tragweite stellen wird, die die Mitglieder des Wiederstands
gegen das “Dritte Reich” zu treffen hatten?!
Ob konservativ, liberal oder gar sozialistisch eingestellt, ob evangelisch oder
katholisch, das spielte spätestens von dem Moment an keine Rolle mehr, in
dem jemand in vollem Bewußtsein seines Tuns jenes berühmte
“Nesusshemd”, von dem Henning von Tresckow gesprochen hat, über
gestreift hatte. Jedem, der das tat, war klar, dass er dafür seinen Kopf
riskierte!
Natürlich gibt es den unmittelbaren Tyrannenmörder. Aber ein Widerstand, der
über diese Tat hinaus weiterdenkt, tut gut daran, ein Netzwerk aufzubauen
aus vertrauenswürdigen, verlässlichen Personen. Auch in diesem
Zusammenhang, vielleicht sogar ganz besonders, gilt das alte Sprichwort von
der Kette, die so stark ist wie ihr schwächstes Glied.
Und zu diesem Netzwerk der Versschwörung gehörten Heinrich Graf von
Lehndorff-Steinort und seine Frau Gottliebe, ja Heinrich Lehndorff zählet
sogar zum “engsten Umkreis von Henning von Tresckow!” Gleichwohl taucht
dieser Mann in der Literatur zum 20. Juli 1944 nur schemenhaft als Randfigur
auf, als Personenregister-Existenz gewissermaßen, unklar in seinen
Tätigkeiten, als Persönlichkeit zwar genannt, aber ohne jede Kontur. Kein
einziger einschlägiger Titel ziert das Quellen- und Literaturverzeichnis von
Frau Vollmers Buch, der im Zentrum auf diesen jungen Grafen eingeht. und
das noch 70 Jahre nach den Ereignissen!
Angefangen hat alles fast zufällig. Von Vera von Lehndorf angesprochen, ob
sie sich vorstellen könne, die Geschichte ihrer Eltern im Zusammenhang des
Widerstandes vom 20.Juli 1944 zu schreiben, sagte Frau Vollmer zu. Die vier
Töchter überließen ihr daraufhin das Familienarchiv: Es enthielt neben allerlei
unveröffentlichten Fotos zwei Tonkassetten mit einem Gespräch zwischen
Gottliebe und Vera von Lehndorff. Daneben gab es den Tonbandmitschnitt
eine weiteren Interviews und hand- sowie maschinenschriftliche Erinnerungen
Gottliebes im Umfang von etwa 40 Seiten. Drei weitere Kladden betrafen
schon spätere Zeiträume.
Wie macht man aber aus so wenig Material ein überzeugendes Buch, eine
Doppelbiographie gar? Glückliche Funde, etwa im Schularchiv von Roßleben
und Gespräche mit Zeitzeugen - einige sitzen hier im Publikum - haben Frau
Vollmer dann doch noch eine erstaunlich breite Quellenbasis verschafft. Dazu
trat natürlich die Auswertung der mittlerweile umfänglichen
Forschungsliteratur.
Das Buch von Antje Vollmer ist deßhalb keine klassische Biographie
geworden,die eben angedeutete Quellenlage läßt es nicht zu, dieses,
obgleich nur “in wenige Jahre eng zusammengepreßte” Leben Heinrichs von
Lehndorffs und seiner Frau vollständig zu rekonstruieren. Aus der Quellennot
eine schriftstellerische Tgend machend, hat Frau Vollmer stattdessen eine Art
Collage vorgelegt, in der sie die eher kargen Quellen mit Forschungsliteratur
und eigenen Deutungen zusammenführt.
Und das Buch ist doch zugleich mehr als eine Biographie! Denn es gelingt
Frau Vollmer auf beeindruckende Weise, dem Leser das Milieu des
ostpreußischen Landadels in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts
einfühlsam nahezubringen und manches gepflegte Vorurteil zu beseitigen. Sie
entführt uns - in ihren eigenen Worten- “in eine Welt, die noch nichts von den
kommenden Katastrophen ahnte” und beläßt damit der Geschichte ihre
prinzipielle Offenheit. Ohne diese Basis, ohne diese Ursprünge, wäre das
Denken und Handeln Heinrich von Lehndorffs und seiner Frau
schlechterdings “nicht zu verstehen”. Es ist berührend zu lesen, wie sich die
beiden fanden, wie sie gemeinsam das vom skurilen Onkel Carol
vernachlässigte Riesengut Steinort wieder auf Vordermann bringen wollten.
Und wie diese beiden Kinder altpreußischer Adelsgeschlechter fast
selbstverständlich in den Kreis der militärischen Opposition gegen das NS-
Regime eintraten.
Daß auch die Rahmenbedingungen für die militärische Opposition gegen
Hitler breit dergestellt werden, ist Frau Vollmer von einigen Rezensenten
angekreidet worden: bekannte Fakten aus der Forschungsliteratur müsse
man doch nicht nochmals wieder abdrucken... Doch wer das Buch
unbefangen in die Hand nimmt und - vor allem - es ganz liest (was
Rezensenten nicht immer tun), dem geht auf, daß jede eingefügte
Literaturpassage ihren tiefen Sinn in der Gesamtkomposition dieses Buches
hat. Denn es ist kein Fachbuch im eigentlichen Sinn, es möchte ein breites
Publikum ansprechen, bei dem man großes Vorwissen nicht erwarten darf.
Das Buch ist - im besten Sinne - angelegt als historisch-politische
Bildungsarbeit. Denn, so Frau Vollmer: “Wir brauchen das Wissen,dass es
auch einige Mutige gab, die handelten und Verantwortung für den Lauf der
Welt übernahmen. Es gab die Möglichkeit zum Dissens, auch gegen das
eigene Milieu, es gab die Möglichkeit zum Wiederspruch, wenn auch der Preis
hoch war.”
Und zu dieser historisch-politischen Bildungsarbeit paßt auch der Ton, den
Frau Vollmer anschlägt: keineswegs nüchtern, gar trocken, wie es den
Profihistorikern, den deutschen zumal, immer wieder vorgeworfen wird,
sondern lebendig,streckenweise dramatisch - eben so, wie die Situation
damals war-, unvoreingenommen, aber voller Empathie auf der einen und
Hochachtung auf der anderen Seite, ohne das davon ihr Urteil getrübt würde.
Ich habe wenig über den Inhalt des Buches gesagt, mehr über seine
Geschichte, seine “Machart”. Das ist in tiefer Absicht geschehen, dies
schleunigst nachzuholen. Es lohnt sich!
Und ich darf vielleicht auf ein abgedrucktes Dokument besonders aufmerksam
machen; An sich neige ich nicht zur Rührseligkeit, aber die Lektüre des -
seitigen Abschiedsbriefes von Heinrich Graf Lehndorff hat mir wiederholt die
Tränen in die Augen getrieben. Ein 35-Jähriger, der im Angesicht des Galgens
an seine Frau und seine vier Töchter - deren jüngste er gar nicht mehr hat
kennenlernen dürfen - schreibt und sie ermutigt, “ihr eigenes Leben
weiterzuleben, sich nicht zu zermatern” in Gedanken an sein Schicksal: das
hat echte menschliche Größe!
“Ganz still habe ich gewartet, bis einmal ein Mensch diese Dinge, um die
diese Männer und Frauen gelebt und gekämpft haben, berühren würde.
Unedlich glücklich haben sie mich gemacht, weil ich aus ihren Worten all das
gelesen habe, wonach ich mich sehnte.” Diese Worte richtete Gottliebe von
Lehndorff am 28.Juli an die Schriftstellerin Ricarda Huch, die beabsichtigte,
Bilder deutscher Wiederstandskämpfer “in einem Gedenkbuch zu
sammeln...”. Sie hätte diese Worte auch gute 50 Jahre später an Antje
Vollmer richten können!
Denn ihr ist es gelungen, wohl alle heute noch verfügbaren Quellen zu beiden
Protagonisten zusammenzustellen, zu analysieren und auf behutsame Art und
Weise zu interpretieren. “Damit”, so ein Kenner der Materie, “ ist ein
einfühlsames Doppelporträt entstanden, das zugleich eine wichtige Lücke in
der Forschung über den Wiederstand gegen den Nazionalsozialismus
schließt.”(J.Tuchel)
Dafür danken wir Frau Vollmer, indem wir ihr den “Dorothee-Fliess-Preis für
Wiederstandsforschung” verliehen!
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© 2013 Dr. Antje
Vollmer