Highnoon vermeiden (Interview, taz 22./23.09.2001)
"Highnoon vermeiden"
Antje Vollmer glaubt nicht daran, Terror mit Militär zu besiegen
taz: Der Bundestag hat einen deutschen Militäreinsatz gegen den Terror
befürwortet.
Teilt die Mehrheit der Deutschen diese Haltung?
Antje Vollmer: Das glaube ich nicht. Etwa die Hälfte der Bevölkerung
sieht eine militärische Strategie mit Zweifeln und Ängsten. Das muss sich
auch im
Parlament widerspiegeln, sonst koppeln wir uns von ganzen
gesellschaftlichen Strömungen ab. Ich finde dieses militärische
Potenzgehabe gefährlich.
Angst ist nicht politisch.
Ich rede nicht von Angst, sondern von Erfahrung. Ich beschäftige mich
seit der Zeit der RAF mit Terrorismus. Terrorismus war noch nie durch
Militär zu
besiegen. Usama Bin Laden ist nicht Ulrike Meinhof.
Wenn es überhaupt Bin Laden war. Ich weiß, dass der Terrorismus, von
dem wir heute reden, nicht so begrenzt und letztlich doch berechenbar ist
wie der
Terrorismus seinerzeit in Europa. Aber die endlosen Kriege der Russen in
Tschetschenien zeigen auch, dass Militärschläge die Terroristen nicht
treffen. Und wenn doch, entstehen neue Terrorgruppen, und zwar als
Folge der militärischen Konfrontation und der Mythen, die sie erzeugt.
Im Bundestag zitierte ein Befürworter von Militäreinsätzen Helmut
Schmidt: "Verantwortung heißt, nichts zu verschulden, aber auch, nichts
zu
versäumen." Versäumen Sie nicht, neue Antworten auf ein neues
Phänomen zu finden?
Neu ist, dass diese Terroristen nicht ideologisch, sondern kulturell
motiviert sind. Sie zeigen alle Zeichen einer Sekte: Sie rekrutieren Kinder,
halten sie in fast klösterlicher Isolation und programmieren sie für eine
Mission, die ebenso viel Männer- wie Todeskult enthält. Eine militärische
Attacke auf eine solche Sekte erfüllt genau das Weltbild, für das sie
scharf gemacht wurden.
Aber was lässt sich schon gegen Weltbilder unternehmen?
Wenn ich aus dem Deutschen Herbst etwas gelernt habe, dann dass man
eine Highnoon-Situation vermeiden muss. Wenn wir uns auf
Konfrontation in
weltweiter Phalanx versteifen, werden wir schnell obsessiv. Dann gibt es
nur noch Gute und Böse - und im Mittelfeld bleibt niemand übrig. Auf
heute bezogen bedeutet das, wir entfremden die islamische Welt, statt sie
einzubinden und zum Teil der Lösung zu machen.
Das Problem sind doch einzelne Extremisten.
... die aber eine kollektive Identität haben. Es gibt ganze ethnische
Gruppen, die radikalisieren sich mit der Behauptung, ihnen geschehe
Unrecht. Zur Gewalt greifen sie aber auch, weil die westliche Welt ihre
Aufmerksamkeit willkürlich verteilt: Mal schauen wir hin, mal schauen wir
weg. Unsere Aufgabe sollte darin bestehen, diesen verletzten und
gekränkten Globalisierungsverlierern einen institutionellen Ausweg zu
bieten. Daher habe ich einen Internationalen Gerichtshof für Minderheiten
vorgeschlagen.
Die FAZ hat in Deutschland eine Sozialarbeitermentalität ausgemacht.
Es herrsche die Vorstellung, man müsse die Terroristen nur verstehen,
um den Konflikt zu lösen.
Ich sehe genau so viel Sozialarbeitermentalität wie patriotische
Selbstmissionierung. Die politische Stimmung hat sich doch gewandelt.
Die große Trauer und das Entsetzen über die Anschläge sind inzwischen
in ein Entschlossenheitspathos umgeschlagen. Das war ja in der
Bundestagsdebatte schon zu merken, als Friedrich Merz von der
"Nationalen Allianz der Entschlossenheit" sprach - eine hohle und hitzige
Phrase. Was wir brauchen, ist mehr Nüchternheit. Nüchternheit allein
stoppt keine Terroristen.
Aber sie ist der Anfang von der Wahl der richtigen Mittel, etwa einer
internationalen Antiterrortruppe - einer, die für diesen besonderen Fall
geeignet wäre.
Also doch Militär?
Nein, ich denke da an Polizeikräfte der UNO. Das ist eine der unerledigten
Aufgaben der Globalisierung. Terroristen ist nicht mit schönen Worten
beizukommen - allerdings auch nicht mit dem mentalen und realen
Aufmarsch einer internationalen Militärallianz, der genau das Bedürfnis
nach einem finalen Endkampf zweier Kulturen befriedigt.
Kanzler Schröder und Außenminister Fischer scheinen nicht auf neue
Institutionen zu bauen. Sie fordern unbedingte Solidarität mit den USA.
Ich finde beide sehr besonnen in ihren Reaktionen. Es ist richtig, ganz
dicht bei den Amerikanern zu bleiben. Aber man muss sich den Kopf für
Lösungen
freihalten, die fern der Eskalationsrhetorik liegen. Fischer zeigt das ja
gerade mit seinem Engagement für Frieden im Nahen Osten.
Glauben Sie im Ernst, Rot-Grün kann sich aus der
Entschlossenheitseuphorie noch befreien?
Die Regierungsparteien werden sich daraus befreien.
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Ich glaube an unsere Fähigkeit, die Fassung wiederzugewinnen - weil wir
die Katastrophe nicht lieben. Außerdem: Die Deutschen sind nicht
kriegsfähig, das weiß doch jeder.
INTERVIEW: JENS KÖNIG/
PATRIK SCHWARZ
© 2015 Dr. Antje
Vollmer